Mother

Guten Morgen, ich fang gleich an und erzähle dir von einer kleinen Begebenheit. Vor einigen Wochen hatten wir Pfingstferien und wir hatten sie unfassbar nötig. Wir packten Kinder, Hund und tausenderlei Dinge ein und machten uns auf Richtung England. Mein Sehnsuchtsland (also die idyllische Countryside-Barnaby-Pilcher-Urlaubsvariante von England). Ach, was habe ich mich gefreut. Die Anreise war etwas strapaziös, aber ich erstaunlich gut gelaunt (ich benehme mich bei langen Autofahrten leider ganz schlecht, weil ich nur äußerst ungern längere Zeit in geschlossenen, engen Räumen eingesperrt bin).

An der Grenze angekommen standen wir eine sehr lange Weile an, denn die Kontrollen sind äußerst umfangreich und wir waren nun nicht die einzigen Menschen auf Reisen. Offenbar sahen wir verdächtig aus, oder einfach schwer kontrollierbar, mit unserem Bus, vollgepackt bis oben hin mit Zeug und Menschen und Hund. Wir wurden rausgewunken und mussten alle das Fahrzeug verlassen. Ausweise wurden eingesammelt, der Chip des Hundes ausgelesen, das Auto umrundet und schließlich alle einzeln kontrolliert. Nacheinander rief der Grenzbeamte die Namen auf und man musste vortreten, damit er Passfoto und Originalgesicht vergleichen konnte. Die Kinder wurden aufgerufen, der Name des Gatten und schließlich: “Mother!!“

Es ist natürlich nur eine alberne kleine Begebenheit, wir stiegen ein und setzten unsere Reise fort und doch- das hatte gesessen. “Mother!!“ Es war, als hätte dieser harsche Grenzbeamte all meine Gedanken und Gefühlswirren der letzten Monate in ein Wort gefasst und mir vor die Füße geworfen. Nicht “Sandra“, kein Name, noch nicht mal der Nachname, nein-„Mother!!“

Ach, wie gerne bin ich Mutter, fast 18 Jahre nun schon. Es ist ein Geschenk, ein großes Glück, herausfordernd, lebensverändernd, lebenslange Aufgabe, herzprägend und nervenraubend, ermüdend und bereichernd, erdend und enervierend, nichts fällt mir leichter, nichts fällt mir schwerer. Und doch- ich bin mehr. Viele Aspekte dieses “mehr“ sind in all den Jahren verschütt gegangen, viele kamen überhaupt nie zum wachsen, weil die Zeit, der Zuspruch, der Mut fehlte. Langsam driften sie nach oben, wie Treibgut nach Sturmlage. Vielleicht, weil ich nun bald 48 Jahre alt sein werde, vielleicht, weil meine Kinder gerade groß und größer werden, ich mit Jugendlichen verreise und eine neue Lebensphase an der Tür hämmert.

In meinem Herzen ist plötzlich eine unüberschaubare Unordnung entstanden, alles liegt wild durcheinander. Brocken von Trauer und Klumpen von Abschied. Loslassen müssen. Meine Kinder. Die, die ich war. Die, die ich gerne gewesen wäre. Freude über unser Miteinander. Träume, die mir noch nicht verraten, ob sie besser Träume bleiben (nicht jeder Traum will Wirklichkeit werden, sonst würde ich jetzt in Ronjas Bärenhöhle leben, wäre mit Prince William verheiratet oder würde in den Schweizer Bergen Ziegen hüten). Ideenschnipsel, Dankbarkeiten, ein paar Zukunftsängste. Wer bin ich jetzt, was ist mir wichtig, was gehört zu mir? Wer bin ich ohne, mit, trotz und wegen “Mother“ ?

Ich versuche mein Herz aufzuräumen, aber ich schätze es wird noch eine gute Weile brauchen. Minimalismus kommt leider nicht in Frage, ich fühle schon Zeit meines Lebens opulent und das soll auf jeden Fall so bleiben. Was ist mir wichtig, was will ich tun? Was will ich ausprobieren und was endlich verwerfen? Und wie vereinbare ich all das mit chronischem Zeitmangel? Und nun sag, geht es dir denn auch ein wenig so? Kennst du sie, die Phasen des Umbruchs und der Veränderungen, des sich neu begegnen und Frieden suchen? Ich sortiere Werte und Glaubenssätze wie Knöpfe in der Schachtel, entdecke Abgeranztes und zu lange Verwahrtes. Alte Schätze. Ungekannte Bockigkeit, wo hatte ich die denn all die Jahre versteckt?! Der Mensch ist zumindest auf dieser Seite des Lebens niemals fertig, immer im Wachsen, immer im Werden. Das ist mitunter schmerzhaft aber vor allem auch ein große Glück. Es gibt noch so viel zu entdecken, so viel kennenzulernen, schau nur in den Spiegel, da liegt so viel Verborgenes in deinem Gesicht! Es wird nicht langweilig, so viel ist sicher.

Ich war lange nicht hier, in meinem Blog-Eckchen und nein, es war ehrlicherweise nicht nur der Mangel an Zeit. Für wen noch schreiben und warum? Wer liest noch einen Blog mit zu vielen Worten? Ich bin eingeschüchtert von den Instagram-Creatorinnen, die das alles sehr viel besser beherrschen und dabei nicht kamerascheu sind. Ich meine das tatsächlich nicht abwertend, sondern eher resignierend. Mir fehlten lange Wochen Zeit und Worte und Mut und Freude. Aber nach einigen Wochen fehlte mir auch das Schreiben. Es scheint zu den Dingen zu gehören, die bleiben wollen, egal, wer liest oder was dabei herumkommt. Einfach, weil es mich froh macht. Und so puste ich den Staub aus den Ecken und tippe los. Kehre zurück zu den Anfängen. Es wird kürzer werden, tagebuchähnlicher, Häppchen von Leben, die mich bewegen. Für mich. Weil ich diese Aufräumhilfe dringend nötig habe . Und vielleicht kannst du was davon gebrauchen, das wäre natürlich schön. Auch, wenn es kein “Mamablog“ mit Sinn stiftenden Botschaften ist. Sondern weniger. Oder mehr, je nachdem, wie man es betrachtet. Weil ich „Mother!!“ bin, aber noch vieles, vieles mehr. Vielleicht, vielleicht geht es dir auch so.

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20 Kommentare zu „Mother“

  1. Liebe Sandra, ich liebe deinen Blog! Die Worte fließen einfach in mein Herz. Deinen Blog und deine Bücher zu lesen, das ist, als säße ich mit einer Freundin auf der Couch und höre ihr zu. Vertraut und ehrlich. Vielen Dank!
    Alles Liebe, Julia

  2. Liebe Sandra,
    gerade habe ich Dein letztes Buch vom Buchhändler abgeholt und mich aufs Hineinlesen gefreut, da entdecke ich Deinen neuen Beitrag hier. Wie schön!
    Ich kann so vieles davon gut gebrauchen, was Du hier teilst. Und bin immer wieder dankbar fĂĽr Deine freundliche, ehrliche, opulente (was fĂĽr ein groĂźartiges Wort!) Offenheit.
    Ich lese gern von Dir und Deiner Familie, aber vor allem von Dir.
    Ich freu‘ mich, wenn ich Dich hier weiter „treffen“ darf. Das ist mir nämlich immer eine groĂźe Freude und UnterstĂĽtzung, die meinen Alltag leicht macht und wärmt.
    Und ich mag ausführliche schriftliche Gedankengänge, die mich mitnehmen und Deine wunderbaren Fotos.
    Herzliche GrĂĽĂźe, Hendrikje

  3. Lucilla Adelhardt

    Liebe Sandra, ich habe mich sehr gefreut wieder was von dir zu lesen. Deine Texte sind immer so treffend und sie tun so gut!
    Vielen Dank und gute Zeit!
    Liebe GrĂĽĂźe Luci

  4. … ich kann mich nur anschlieĂźen – ich genieĂźe die Beiträge sehr und möchte sie nicht missen. Also bitte auf keinen Fall mit dem Schreiben aufhören! ?

  5. Ariane Abegg

    Liebe Sandra
    Deine Zeilen haben mich (einmal mehr) tief berührt. Deine Gabe, Gefühle so wunderbar in Worte zu fassen, ist grossartig! In 8 Tagen werde ich Schwiegermutter und all das von dir Beschriebenen ist auch in mir drin! Danke, dass du weiterhin schreibst! Ich freue mich schon aufs nächste Mal! Und ja, auch ich mag es ausführlich.??
    Herzlich, Ariane

  6. Liebe Sandra,
    wie schön, wieder von dir zu lesen!
    Ganz sicher musst du dir keine Gedanken darüber machen, wer deinen „Blog mit zu vielen Worten noch liest“! Es gibt sie wirklich noch, diejenigen, die lieber „viele Worte“ lesen als bei Instagram oder sonstwo von Beitrag zu Beitrag zu huschen! Ich schätze sehr deine Ehrlichkeit und Offenheit, dein Berichten vom wahren, ungeschönten, unretuschierten Leben. Vielen lieben Dank und liebe Grüße
    Inge

  7. Liebe Sandra, das war jetzt eine lange Pause und ich habe deinen Blog schon vermisst! Ich mag deine Art zu schreiben und lese deine Zeilen immer sehr gerne! Viele GrĂĽĂźe, Annett

  8. Ich möchte die Hand heben und rufen „hier, ich lese mit“. Ich lese so gerne hier mit und bewundere die schönen Bilder.
    Mir geht es anders und dann doch wieder ähnlich. Meine Kinder sind kleiner und der zweite ist nun ein Jahr alt geworden und damit kein Baby mehr. Mehr Kinder werden es nicht werden, das zweite war schon ein wundervolles Geschenk. Die Nähmaschine habe ich für mich entdeckt und das Klavier spielen wird wohl ein Traum bleiben.
    Das Leben ist im Fluss.
    Mal sehen was hinter der nächsten Biegung kommt.
    Liebe GrĂĽĂźe Anne

  9. Liebe Sandra,
    Vielen lieben Dank!!!!
    FĂĽr diese wertvollen Zeilen, dafĂĽr, dass du es schaffst GefĂĽhle in Worte zu fassen, dass du den Alltag mit uns teilst.
    Für mich sind deine Blogeinträge ein großer Schatz: in den letzten Tagen habe ich immer wieder darüber nachgedacht, wie du den „Übergängen“ im Leben Zeit eingeräumt hast.
    Auch ich interessiere mich nicht fĂĽr Instagram, aber ich schätze deine BĂĽcher und die Einblicke in deinen Alltag wirklich sehr. Es hilft mir zu ordnen und zu verstehen, was in meinem Kopf so alles los ist – das tut mir gut.
    Auch mich beschäftigt gerade sehr, was ich bin – auĂźer oder trotz „mother“
    Du hast mitten in mein Herz getroffen und ich bin gespannt, wo der Weg hinfĂĽhrt. Zum GlĂĽck mĂĽssen wir ihn nicht allein gehen.

    Dir und deiner Familie wĂĽnsche ich einen behĂĽteten Sommer
    Liebe GrĂĽĂźe
    Anne

  10. Hier! Ich lese mit! Und ich bin so dankbar für deine Worte. Liebe Grüße von einer, die gerade auch wehmütigt die Kinderphase und das pure Mama-sein zurücklässt und sich zaghaft fragt, welche Träume es jetzt noch zu leben gilt. Ich wünsche dir einen gesegneten SOmmer!!! (freue mich immer noch an deinem Buch, das mit in mein Sommergepäck kommt!)

  11. Danke dir fĂĽr den Beitrag! Bin ĂĽber Insta darauf aufmerksam geworden, prima, dass du es dort teilst!

    1. Liebe Sandra,

      Obwohl ich als Kleinkindmama gerade in einer ganz anderen Lebensphase bin, schätze ich deinen Blog (und deine Bücher) sehr! Wie schön, dass du mir und anderen einen kleinen, ehrlichen Einblick in dein Leben und deine Gefühlswelt gibst. Deine Worte berühren mich immer wieder und mir würde dein Blog wirklich fehlen!

      Liebe GrĂĽĂźe
      Bernadette

      1. Ja ich habe dich auch vermisst und habe mich ernsthaft gefragt,ob etwas passiert ist. Also bitte nicht entmutigen lassen -weiter so,wir brauchen dich. Alles Liebe ?

  12. Elke Horsten

    Liebe Sandra,
    auch ich habe deinen Blog und deine oftmals berührenden, immer treffenden Worte sehr vermisst und gehofft, dass du wieder einmal schreiben wirst. Auch mich hat das Wort „ Mutter“ schon oft ratlos zurück gelassen wenn es jemand zu mir sagt, weil wir alle so viel mehr sind als Mutter, wobei Mutter sein eine ausfüllende und intensive Beschäftigung ist, die nie enden wird. Auch erwachsene Kinder brauchen Mutter und natürlich auch den Vater.
    Ich wĂĽnsche dir und deiner Familie alles Gute.
    Liebe GrĂĽĂźe
    Elke

  13. Liebe Sandra, ich liebe deinen Blog, denn deine Wort-Tänze und -Spielereien zaubern mir immer wieder mitten im Alltag ein Lächeln aufs Gesicht. Es tut so gut zu sehen und zu lesen, dass nicht nur unser Alltag trubelig und kunterbunt ist. Und dass es so gut tut, das ganze häufig mit einem verschmitzten dankbaren Lächeln zu betrachten, bei aller Ernsthaftigkeit die das Leben für uns übrig hat. Danke, dass du schreibst. Liebe Grüße Sarah

  14. Ein Beitrag, der mir aus der Seele spricht. Wer und was bin ich auĂźer einer Mutter? Danke fĂĽr deine Impulse.

  15. Liebe Sandra,
    und auch ich lese immer sehr gerne deinen Blog mit zu auf keinen Fall zu vielen Worten! Vielen Dank fĂĽr’s Teilen und bitte nicht aufhören!

  16. Liebe Sandra, danke für deinen Blog und dein Schreiben. Ich liebe liebe liebe deinen Stil und das Verständnis für andere, die du nicht mal kennst und die Liebe die durch deine Worte sprechen.
    Ich hab Instagram seit ungefähr einem dreiviertel Jahr gelöscht und komme immer wieder hierher auf deinen Blog und hoffe einen neuen Beitrag zu finden.
    Ich schicke dir ganz viele liebe GrĂĽĂźe, Lydia

  17. Liebe Sandra,
    Seit längerer Zeit lese ich still mit und ich habe mich auch sehr gefreut, nach dieser Pause nun wieder von dir/euch zu lesen. Deine Gedanken haben mir schon in so vielen Situationen Mut, Inspiration oder ein Lächeln auf die Lippen geschenkt und mich in meinen Alltag begleitet. Ich lese deine Texte immer wieder gerne, noch keiner erschien mir lang oder gar zu lang.
    Und ich bin beeindruckt davon, mit welcher Offenheit du verschiedenste Lebenslagen und Gefühlswelten teilst… Das ist sehr wertvoll für mich, insbesondere auch von Herausforderungen oder Ungelöstem erfahren zu dürfen und mich und meine Fragen darin selbst wiederzufinden.
    Ich würde mich sehr freuen, wenn du uns weiterhin mit auf die Reise nimmst. Deine Kinder sind meinen ein paar Jahre voraus und ich erahne, dass mir das Loslassen schwerer fallen wird, als mir lieb ist…
    Und auch welche Fragen dann auf mich zukommen könnten.
    Viele liebe GrĂĽĂźe,
    Maike

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