Optimierungswahn

Gestern Abend klagte ich dem Gatten mein Leid. Ich jammerte über meine Unzulänglichkeit im Allgemeinen, mein Versagen als Mutter im Besonderen, mein Unvermögen in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens, über Müdigkeit und bange Gedanken. Ich teilte den Rundumschlag nicht nur aus, ich fühlte ihn tatsächlich, seit einiger Zeit schon. Der Gatte war ratlos und fragte nach. Alle Aufgaben erledigt? Hmm. Jeden Tag frisches Essen für die lieben Kleinen? Japs. Sogar eine Runde Frischluft mit ausführlichem Spielplatzbesuch? Ja, aber… Das Haus versinkt nicht im Chaos? Nein, nicht direkt. Habe er da nicht sogar einen Blogeintrag gelesen, gerade vor ein paar Tagen und werde er nicht jeden Abend von ein Schar ausgeglichener Kinder begrüßt? Liebe Güte ja. Der Gatte sieht nur, was alles geschafft ist. Ich sehe das, was nicht geschafft ist. Und das, was andere schaffen.

Ich lese von tüchtigen Pastorenfrauen, die schier Unglaubliches zu Wege bringen. Die bloggen, Bücher schreiben, Gemeindeleben organisieren, Seminare geben, ein Ernährungsprogramm durchziehen und Sport treiben. Dabei scheinen sie nie die gute Laune zu verlieren und wuppen den Alltag mit scheinbar spielerischer Eleganz. Ich erstarre vor aufrichtiger Erfurcht und spüre, wie mich das immer mehr einschüchtert. Ganz ehrlich? Es ist mir ein Rätsel, wie die das hinbekommen. Haben sie nichtschmutzende Häuser und sind Sie denn nie müde? WISO schaffe ich es nicht dreimal wöchentlich zum Sport und plaudere täglich angeregt mit interessanten Leuten, die meinen Horizont erweitern? Warum erscheint meinem Hirn Schokolade trotz besseren Wissens immer wieder eine gute Lösung zu sein?  Warum nur bin ich so undiszipliniert?                                                                                                  Ich lese von einer Mutter, die zu einer „Nicht Meckern Challenge“ aufruft, um das Familienleben harmonischer zu gestalten. Dabei betont sie die positiven Auswirkungen auf kindliche Gemüter, wenn Mama einfach mal die Klappe hält. Außerdem würde schon in der Bibel das zänkische Eheweib als schlimmes Übel beschrieben. Beeindruckend, wirklich. In den letzten 24 Stunden habe ich gemeckert, was das Zeug hält. Wegen einer mit Buntstiften angemalten Wand, nicht gemachter Hausaufgaben -trotz mehrfacher Aufforderung, fünf Brotdosen mit Schimmelbroten in einem Schulranzen, zwei neuer Sprünge im Waschbecken und und….machen das nur meine Kinder so? Soll ich da nicht meckern ( wobei meckern es nicht ganz auf den Punkt bringt- ich kann auch brüllen)? Echt jetzt?! Einfach  Klappe halten und zusehen? Ich wüsste gerne, in welcher Verfassung sich unser Haus und seine Bewohner binnen kürzester Zeit befänden. Familienleben und kindliche Gemüter wären vielleicht harmonischer, aber ich weiß nicht, ob mein Gemüt ein Leben in Harmonie und Anarchie verkraften würde. Und so lese ich und fühle mich als Erziehungsversagerin.

Wer den Blog von „Soulmama“ kennt, der ahnt, was man in ein Menschenleben alles reinpacken kann. Sie hat eine Kinderherde und diverse Herden von Tieren. Sie unterrichtet zu Hause, schreibt Bücher und gibt ein eigenes Magazin heraus. Der Gemüsegarten sieht aus, als könnten sie damit noch drei weitere Familien ernähren. Ich staune, bewundere und- wundere mich.

Ich muss gar nicht erst einschlägige Pinterestseiten aufrufen, um mich einschüchtern zu lassen, um die Geister von Unzulänglichkeit und Versagen heraufzubeschwören. Immer und immer wieder muss ich freimachen, von Idealvorstellungen und Anspruchsdenken. Nein, dieses Jahr werde ich keinen Marathon laufen und nicht im Bikini posieren. Ich renoviere kein Haus und werde keine Zeitschrift herausgeben. Aller Wahrscheinlichkeit nach, werde ich meine Kinder hin und wieder anbrüllen und mit den Türen schlagen. Ich werde müde sein und mich nicht im Gemüseanbau versuchen. Meine Ressourcen sind begrenzt. Mir sind all dieses Selbstoptimierungschallenges zuwider, weil sie an der Seele nagen. Aber ich werde mein Bestes geben, jeden Tag auf ein Neues. An dem Platz, an den ich gestellt bin, mit den Menschen, die mir anvertraut und zur Seite gegeben sind. Ich will hinhören und schauen, was mein ureigener Weg sein soll, aber ich will mich nicht beständig unzulänglich fühlen.

Durch unsere Haus hüpfen eine Prinzessin, ein Bauarbeiter, ein Cowboy und eine kleine Katze. Ein Zauberer kommt dazu. Für ein paar Tage leben unsere Fassnachtskinder die Rollen ihrer Träume. Unter der Maskierung sind sie aber die, die sie nun mal sind. Am Aschermittwoch sind sie es auch wieder von außen. Da steckt viel Wahres drin. Ich kann nur mein eigenes Leben leben, alles andere wäre Maskerade und früher oder später wäre der Lack ab. Die werden, als die ich gedacht wurde. Das möchte ich versuchen. Und zufrieden sein.

10 Kommentare zu „Optimierungswahn“

  1. Ich danke dir! Und wünsche dir den immer wiederkehrenden Frieden, nach jedem Anbrüllen und so weiter. Den ich auch täglich mehrmals dringend brauche!! Herzlichst Sonja

  2. Ich bin auch schon an den Unterschiedlichkeiten verzweifelt, bzw. am Vergleichen nach oben. Aber mit der Zeit wurde mir klar, dass jede Mutter ihren ganz eigenen Energielevel besitzt. Meiner ist eher niedrig und ich brauche längere Regenerationsphasen. Liegt auch daran, dass ich introvertiert und sensibel bin. Ich stelle fest, dass extrovertierte Persönlichkeiten „mehr wuppen“ und ihnen das Energie schenkt. Fünf Kinder großzuziehen ist eine Hammerleistung, die du nicht kleinreden solltest. Du bist du mit deinen Begrenzungen und deinen Fähigkeiten. Zu beidem darfst du ja sagen.

    1. Theoretisch weiß man es ja besser nicht? Aber in der Praxis ist es ein ewiges Lernen. Und ich musste erst vierzig werden um zu verstehen, dass man ein impulsiver Menschenfreund und trotzdem, zur gleichen Zeit, sensibel und introvertiert. Ganz liebe Grüße und weiterhin guten Weg hin zu eurem Traumhaus!

  3. Oh Sandra, DANKE!!!! Ich finde mich in deinen Worten sowas von wieder. Ich sehe Bilder von hübsch gedeckten Tischen mit Schälchen und weißen Tischdecken und finde das wunderbar. Ich lese von Mamas, die darüber nachdenken, welche Gefühle das Abstillen in ihnen auslöst und bin beeindruckt. Und dann bin ich hier in meinem Leben und auf unserem Tisch liegt niemals eine weiße Tischdecke (höchstens zu Weihnachten und dann mit Plastikfolie drüber ;-)) und ich mach mir keine Gedanken darüber, was Abstillen für Gefühle in mir auslöst. Ich mach das einfach, oder auch nicht (der Kleinste hängt grad noch sehr an mir 😉 ).
    ‚ich kann nur mein eigenes Leben leben‘ dieser Gedanke beschäftigt mich die letzte Zeit besonders. Vor allem der Aspekt, dass mein Leben eben nicht aus pinterest-Bildern besteht oder Auswirkungen auf das Weltgeschehen hat. Ich bin zutiefst dankbar, wenn mein Leben positiven Einfluss auf andere hat und ich ab und zu auch mal etwas außergewöhnliches tun darf. Aber in erster Linie besteht mein Leben aus ganz banalen Dingen, wie aufräumen, putzen, Wäsche, kochen, Kinder erziehen usw. und ich will nicht länger immer nur auf das Spektakuläre hoffen, sondern hier und jetzt meinen ganz normalen Alltag mit Freude machen. Mein Leben kann nur ich leben. Und auch wenn die Welt da draußen es nicht zu sehen kriegt, ist es wichtig, dass ich hier zum dritten Mal am Tag das Bad wische. Dass ich aufräume auch wenn man davon nach einer Stunde oft schon nichts mehr sieht. Und dass ich einfach hier bin. Bei meinen Kindern. Auch wenn ich öfter mal laut schreie, ja das kann ich auch! 😉
    Ich wünsche mir so oft, dass mein Leben etwas ganz besonderes ist. Aber ich glaube, mein Leben zu etwas besonderem zu machen, ist Gottes Aufgabe. Meine Aufgabe ist, mein ganz normales Leben zu führen mit all den banalen Dingen, die es eben so zu tun gibt, wie Böden wischen etc.
    Und in diesem Sinn werd ich jetzt mal den Tisch abräumen… und damit zufrieden sein.

  4. Oh, ja! Da sitze ich, lese und kann nur Jaaa schreien!!
    Das geht mir auch oft so …: so oft denke ich: wie schaffen die das nur alle?
    Und so oft bin ich ungeduldig, unzufrieden, sehe nur, was ich NICHT geschafft habe und schreie bzw. meckere leider auch viel zu oft herum ??…
    Aber wie Veronika schon schreibt: wir sind wahrscheinlich wirklich alle mit verschiedenen Energie -Leveln gesegnet und das macht bestimmt auch Sinn! ?
    Dafür nehmen solche Menschen wie wir evtl einfach andere Dinge wahr, als die, die durch ihren Alltag powern. Oder: wir sind einfach so geschaffen und das ist nun einmal so!
    Die Kunst ist es, es zu akzeptieren, die Stärken darin zu sehen (oder von Gott zeigen zu lassen, wenn uns nicht einfällt, was daran gut sein soll ?) und daraus das Beste zu machen.
    Und das wichtigste: den Job/die Lebensaufgabe unsere Kinder groß zu ziehen und sie in einem Umfeld der Liebe und Fürsorge aufwachsen zu lassen, NICHT KLEINZUREDEN!!! Das ist wichtig. … auch wenn die Welt uns was anderes suggeriert…
    Das muss ich mir auch immer wieder sagen: das wir den allerwichtigsten Job der Welt haben ???!
    Und die nächste Kunst übe ich auch immer wieder ein: dankbar sein, für die Dinge sein, die ich geschafft habe … auch wenn es noch so wenig erscheint!
    Danke für den tollen Artikel und: immer weiter machen und nicht den Mut verlieren!
    Lieben Gruß, Debby ?

    … bin durch Veronika’s Blogg auf dich gekommen und lese immer wieder gerne nach, weil du einfach so normal und ehrlich, liebevoll deinen Alltag beschreibst: Danke dafür ??

  5. Pingback: Stille – himmlisch geerdet

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