Ach entschuldige bitte, letzte Woche hatten wir eigentlich eine kleine Verabredung. Vielleicht hattest du es selbst nicht bemerkt, denn wahrscheinlich hast du auch viel um die Ohren. Ich für meinen Teil hatte im Kalender notiert: Blogbeitrag schreiben. Naja. Statt kluge Worte in die Tastatur zu hacken, flüsterte ich hilflose Worte in meinem Kopf. Eines unserer Kinder war vor einiger Zeit erst normal krank geworden und dann immer kränker. Ratlos sahen wir ihm beim weniger werden zu, kühlten eine fieberheiße Stirn und reichten Thymiantee gegen Hustenattacken. Natürlich wurden Ärzte befragt, aber gegen einen Virus kann man nun mal nichts machen. Wenn es denn ein Virus gewesen wäre. Wir brachten das Kind schließlich in die Kinderklinik, wo man recht zügig keine Viren dafür aber irgendwelche fiesen Pilze und eine handfeste Lungenentzündung fand. Weißt du was? Ich hatte richtig Angst. Wie spitze Dornen bohrte sie sich in mein Herz. Kaum etwas bringt mich mehr aus der Fassung als ein Kind in Nöten. Die nächsten Tage verbündete sich die Lungenentzündung mit dem allerscheußlichsten Heimweh und es kostete alles an Kraft und Tapferkeit um dem unheilvollen Pärchen die Stirn zu bieten. Nach so vielen schlaflosen Nächten verabschiedete sich auch mein Immunsystem mit einem müden Winken. Mittlerweile liegt die kranke Lunge wieder hier zu Hause auf dem Sofa herum und befindet sich auf dem langen Weg der Heilung.
Während wir mit kranken Kindern, mĂĽhseligem Schulkram, ĂĽbervollen Terminkalendern und dem ein oder anderen Herzensleid beschäftigt waren, wurde es leise, still und heimlich Advent. Wenn du merkst, dass der Advent auf der TĂĽrschwelle stehst, musst du, so schnell du nur kannst, alle social media accounts schlieĂźen. Zumindest geht es mir so. Denn sie befeuern auf eigentĂĽmliche Art und Weise Advents- und Weihnachtsmärchen, von denen man sehr zuverlässig irgendwann meint, dass sie womöglich wahr sein könnten. Ăśberall in der Republik scheinen Menschen in hĂĽbsch dekorierten Häusern liebevoll gewählte Präsente in geschmackvolles Geschenkpapier zu hĂĽllen. Wenn sie nicht gerade im Winterwald frische Luft schnappen, ĂĽber stimmungsvolle Weihnachtsmärkte schlendern, das Festtagsoutfit aufbĂĽgeln oder ein paar Kisten Selbstgebackenes zur Teestunde reichen. NatĂĽrlich tun sie das nicht wirklich. NatĂĽrlich bohren sich in jedes handelsĂĽbliche Menschenherz ein paar Dornen, nicht nur in deines. Heute morgen hörte ich eine Klaviervariante des alten Liedes „Maria durch ein Dornwald ging“ und fragte mich, warum ich denn wirklich jedes Jahr aufs Neue davon ĂĽberrascht bin, dass der Advent keine lebendig gewordene Kitschpostkarte ist. Dass das dornige Leben mit seinen Herausforderungen nicht pĂĽnktlich zum 1. Dezember den Betrieb einstellt? Vielleicht, weil es einfach eine tiefe, urmenschliche Sehnsucht nach Frieden, nach Wärme, nach vollkommener Schönheit gibt. Wenigstens fĂĽr eine kurze Zeit möge das Leben innehalten, möge es frei sein von Kummer und Schmerz, von Ăśberforderung, Schmutzwäsche und drängenden Fragen.
Und dann fällt mir ein, jedes Jahr aufs Neue, dass wir doch deshalb Weihnachten feiern. Dass doch deshalb die Hoffnung in die dornige Menschenwelt kam. Weil das Leben nun mal das Leben ist und keine Kitschpostkarte. Weil eben nicht alles schon gut ist. Weil wir bedürftig sind und begrenzt, weil uns die Dornen pieken und das Dickicht manchmal undurchdringlich scheint. Ich kenne so viele Menschen, für die das zu Ende gehende Jahr eines voller Dornen war. Menschen, die so herausgefordert waren, dass es gut und gerne für drei Jahre gereicht hätte. Du kannst es dir nicht aussuchen, durch welches unwegsame Gelände dich dein Leben führt. Advent setzt auf die Kraft des kleinen Lichts und nicht auf die große Festtagsbeleuchtung. Ein kleines Licht der Zuversicht und der Freude. Es hat erstaunliche Kraft, leuchtet unbeeindruckt von der Not der Welt, zeigt den Weg und wird nicht müde von der einen Nacht zu erzählen, als die Hoffnung Mensch wurde, mittendrin im Dornengestrüpp.
Mit meinen jüngeren Schülern tauschte ich Adventstraditionen aus und ich erntete von einigen aufrichtiges Mitgefühl und ehrliche Besorgnis. Wie?! Nur ein Adventskranz?! Den Baum echt erst an Weihnachten? Das ist ja furchtbar traurig. Ich konnte sie beruhigen. Ich bin gar nicht traurig. Ich setze auf die Leuchtkraft des kleinen Lichts, nichts tröstet mich mehr, nichts hilft mir mehr durch dornige Tage. Das wünsche ich uns allen, dir und mir. Und weil ich in der Schule endlich mal ungehemmt neunmal klug sein darf, habe ich ein wenig nachgelesen, über die uralten Lieder und Traditionen des Advents. Der Adventskranz? Eine Ermutigung des Herrn von Wichern für eine Horde Waisenkindern in bitterer Armut, derer er sich angenommen hat. O du fröhliche? Der Autor hat gleich vier seiner Kinder an Typhus verloren und sah den napoleonischen Truppen beim Plündern und Brandschatzen seiner Heimatstadt zu. Alle setzten auf die unbeugsame Kraft des kleinen Lichts. Setzten Schritt vor Schritt im dornigen Wald und nahmen sich derer an, die sie unterwegs trafen.
Ich weiß nicht, wie dornig dein Jahr war, wie chaotisch dein Advent ist, wieviel Dunkelheit dich umgibt. Aber ich wünsche dir so sehr die Kraft des kleinen Lichts, seine Zuversicht und Hoffnung. Ich wünsche dir ein Lächeln zur rechten Zeit, eine kleine Geste der Liebe, eine Umarmung, einen Moment der Klarsicht. Am Barbaratag gab es so einen kleinen Moment für mich. Ich lag auf dem Sofa und beobachtete schneespielende Kinder in der Dunkelheit. Eine war in den Kirschbaum geklettert, um mir Zweige zu holen. Der große Junge hatte ein Feuer im Kamin gemacht, der Gatte holte das kranke Kind aus der Klinik. Das war ein Moment tiefen Friedens, fünf Minuten Advent in seiner reinsten Form. Solche Momente wünsche ich dir, es sind die, die zählen. Es sind die, mit der gebündelten Kraft des kleinen Lichts, die alle Kratzer heilen lassen. Ich hatte noch einen zweiten Moment. Am Nikolaustag bekam ich eine kleine Krippenfigur geschenkt. Ein hübscher kleiner Schafsbock. Ich liebe ihn. Ich habe dieses Jahr ein gewisses Maß an Bockigkeit sehr zu schätzen gelernt. Bockigkeit im Sinne von Trotzkraft passt ausgezeichnet zur Kraft des kleinen Lichts. Also, davon wünsche ich dir auch einen ganzen Sack voll.
Hab es fein, dieser Tage. Sei behütet auf deinem Weg. Welche Dornen dich auch pieken mögen, lass dich nicht entmutigen, du bist nicht allein.
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Vielen Dank fĂĽr deine vielen wunderbaren Worte in diesem Jahr. Ich habe sie mit Genuss und Gewinn gelesen.
Danke ????!! Das tat meinem ? gerade echt gut!
Liebe GrĂĽĂźe,
Debby
Einfach nur ein Dankeschön für deine wahren und warmen Worte!
Ich frage mich,wie du in all diesen „Dornen“ Zeit und so wunderbare Worte findest.. danke, dass du sie uns schenkst und mich einmal mehr zu Tränen gerĂĽhrt hast!
Danke fĂĽr deine Worte, sie sind Balsam fĂĽr meine Seele.
In der letzten Novemberwoche mussten wir uns von unserem Ersatzopa verabschieden bei traumhaftem Winterwinterwetter im Schnee … Danach
Hier „liegt wenn alle ausm Haus sind“ eine Mama nach einem langen „Infekt“ auch mit LungenentzĂĽndung flach … mittags wieder auf den Beinen und dann lange Nachmittage aufm Sofa.
Advent wurde es irgendwie ohne mein Zutun …
Hier hat ein Teenie die Leuchtsterne aufgehängt, der andere hat vier Kerzen in eine nackte Schale gestellt zum 1. Adventssonntag. 3 Tage später hat meine Freundin ihren Adventssonntagskalender fĂĽr mich sehr sternreich verpackt und so haben wir nun so wunderbar miniminiPapierSternle, die wunderbar bunt sind und perfekt unser Advents“gesteck“ ergänzen.
Anders wäre mir lieber … ABER die kleinen Gesten machen fĂĽr mich den Advent dieses Jahr aus! Dein Bock musste mich schmunzeln lassen … Bockig bin ich inzwischen au … So viele Dates hab ich ausfallen oder verschieben mĂĽssen die eigentlich wohltutend gewesen wären nach dem November mit 3 Wochen Corona und häuslicher Krankenpflege fĂĽr die älteste Generation im Viergenerationenhaus …
Ganz liebe GrĂĽĂźe und einen wunderbaren 3. Advent