Da ist es nun also, 2024, herzlich Willkommen! Neue Jahre verlieren irgendwie nie an Faszination, oder? So wie neue Schulhefte, eine Fläche frischgefallenen Schnees, ein neuer Kalender oder eine weiße Leinwand. Es liegt Verheißung darin, unzählige Möglichkeiten, ein wenig Ehrfurcht, die zauberhafte Illusion von Neuanfang. Als ich meinen Kalender für das neue Jahr aus der Verpackung nahm (du weißt, ich bin altmodisch und bevorzuge aus absoluter Überzeugung Stift und Papier), da beschlich mich aber tatsächlich eher ein Gefühl von Beklommenheit und Sorge. Was würde am Ende der kommenden 365 Tage darin stehen, mit was werden die Seiten gefüllt sein? Über welche Herausforderungen werden wir in diesem Jahr stolpern, wobei uns eine blutige Nase holen, um wen und um was werden wir weinen? Ja, ja, mir ist schon klar, dass solche düsteren Gedanken wenig zielführend sind und in keiner Weise sinnvoll. Aber wie es nun mal so ist, kommen sie meist ungebeten, machen es sich gerne bequem und es ihnen wirklich fürchterlich schnuppe, ob sie nun eine offizielle Existenzberechtigung haben, oder nicht.
Gegen Ende des letzten Jahres bin ich mir selbst versehentlich verloren gegangen. Das ist nicht weiter schlimm, bestimmt kennst du dieses Phänomen, es geschieht einfach hin und wieder. Das Leben hatte plötzlich ein irres Tempo aufgenommen, Termine stapelten sich in meinem Kopf, zu Erledigendes purzelte wild durch mein armes Hirn, ständig hatte ich Angst etwas wirklich wichtiges zu vergessen. Oder jemanden. Die Trauer kam zu Besuch- noch so ein Gast, der sich einfach nicht an die Etikette halten möchte und einfach reinplatzt, wenn es ihm in den Kram passt. Weil mein Herz die Konsistenz von löchrigem Käse hat, fühlte es auch die Überforderungen, den Stress und die Müdigkeit aller Mitbewohner im Haus, denen ebenfalls viel abverlangt wurde. Es fühlte und fühlte sich zuständig und verantwortlich, die Zeit floss durch die Finger und alles wurde ein wenig wahnsinnig. Irgendwo in diesem Durcheinander ging ich mir verloren.
Verloren gehen dann auch Selbstfürsorge, Schlaf und frische Luft. Verloren gehen ausgewogene Mahlzeiten, die Verbindung zum eigenen Körper und den Fragen der Seele. Was bleibt ist ein funktionstüchtiger Mensch im Überlebensmodus. Wie gesagt, nichts was wirklich tragisch wäre, nichts, was nicht immer mal wieder passiert. Aber dem Himmel sei Dank, habe ich mittlerweile ein Alter erreicht, in dem ich recht schnelle spüre, dass ich nicht mehr alle Sinne beieinander habe. Es gab auch schon Zeiten, da war ich mir verloren gegangen und habe es erst Jahre später überhaupt gemerkt. Du kannst dir hin und wieder verloren gehen und ehrlicherweise lässt dir das Leben manchmal keine andere Wahl. Dann bleibt nur funktionieren und reagieren und Zähne zusammenbeißen. Doch keinesfalls sollte dieser Zustand allzu lange anhalten, es ist einfach nicht gesund und bestimmt bist du doch ein ausgesprochen netter und interessanter Mensch- wie schade, wenn du dir dauerhaft verloren gehen würdest und damit all das Gute und Kluge und Weise in dir für dich verborgen bliebe.
Wenn du dir verloren gegangen bist, na ja, dann musst du dich eben wiederfinden. Auch darin wird man mit den Jahren routinierter, wie ich finde. Wichtig sind nur wenige, aber dafür absolut unumstößliche Lebensregeln. Ich bin der Mensch, der sich auf die Suche machen muss- wenn du wartest, dass ein anderer das Suchen übernimmt, dann kannst du bis zum St Nimmerleinstag warten. Das gleiche gilt im übrigen für die Fürsorge. Du bist es wert. Dein Existenzrecht hängt nicht an deiner Leistung. Gönne dir etwas gute alte Care-Arbeit und zwar für dich selbst. Die ist keinesfalls zu verwechseln mit Selbstoptimierungsarbeit. Falls du grundlegend und unbedingt etwas an dir verbessern oder ändern möchtest, bitte schön! Aber vor allem sei liebevoll und freundlich zu dir. Koche dir Suppe und Tee, schicke dich rechtzeitig zum Friseur, an die frische Luft und zu Bett. Nimm dir Zeit, um dir selbst ein wenig zuzuhören, was dich bewegt, dich sorgt und umtreibt und worauf du einfach wahnsinnige Lust hättest. Schenke dir schöne Aussichten, die guten Worte anderer und sei verschwenderisch mit tiefen, langen Atemzügen. Verabrede dich mit deinem Gott und bringe ihm alles mit, was dir auf der Seele liegt. Nach einer kurzen Weile schon, spürst und fühlst du dich wieder. Etwas schemenhaft, anfangs. Dann immer klarer. Nach einer kurzen Weile hieß in meinem aktuellen Fall fast zwei Wochen. Je nach dem, wie lange du dir verloren gegangen bist, kann die Weile auch eine lange sein. In den letzten zwei Wochen verbrachte ich viel Zeit strickend auf dem Sofa. Strickend und denkend. Langsam fielen die Puzzleteile wieder an die richtigen Orte. Langsam tauchten aus all dem Chaos die guten, schönen, kostbaren Momente auf- Treibgut der letzten Wochen, die im wilden Tanz der Wellen beinahe untergegangen wären. hach, die Erleichterung ist groß.
Der Schreck des Verloren- Seins sitzt mir noch etwas in den Gliedern. Vielleicht beäuge ich deshalb die leeren Seiten des Kalenders ein wenig argwöhnisch und skeptisch. Andererseits- wo ich schon am Suchen war, fand ich noch ein wenig mehr (so wie du verlorene Socken findest, wenn du gerade nach einem Deutschlandticket suchst…). Am Silvesterabend hatten wir ein Haus voller Gäste und Leben. Kurz vor Mitternacht sammelte sich der ganze bunte Haufen vor dem Haus und einer sprach den Segen. Besser kann ein Jahr nicht anfangen. Mit lieben und liebsten Menschen und einem Segen. Dann stolperte ich über Wörter, die mein Herz ein wenig hüpfen ließen- manche Wörter schaffen das, sie klingen einfach zu schön. Vergnügt. Heiterkeit. Die nehme ich mit in diese unbeschriebene Weite. Nicht als Auftrag, nicht als Ziel, nicht als Pflichtprogramm. Nur als Erinnerung: das Leben ist schön und wunderbar, auch wenn es manchmal wild wird, auch wenn es manchmal schmerzt, auch, wenn ich nicht weiß, was kommen mag. Wir sind nie ganz verloren, niemals. Etwas vergnügte Heiterkeit erleichtert die Suche.
Ich wünsche dir von Herzen ein vergnügtes Jahr! Allen Segen, alle Fürsorge, alle Liebe, die du brauchst! Hoffentlich lesen wir uns oft, ich freue mich darauf.
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