Neue Türen zu alten Räume

Dieses Haus wird nie fertig. Nie. Es wird aller Wahrscheinlichkeit nach erst dann Ruhe geben, wenn ich selbst Ruhe gebe. Dafür müsste ich irgendwann ausziehen. Oder mich gleich zur ewigen Ruhe legen. Beides habe ich für die nähere und weitere Zukunft nicht eingeplant. Das schöne an einem Zuhause, das niemals fertig wird, ist ja, dass man sich immer wieder über gelungene Veränderungen freuen darf. Dieser Tage platze ich fast vor Freude, weil wir endlich neue Türen haben. Sie sehen hübsch aus, sie schließen, sie halten Geräusche draußen, sie machen einfach alles, was ordentliche Türe machen sollten. Ihre Vorgängerinnen haben um den Ruhestand nach 25 Jahren Dauereinsatz richtig gehend gebettelt, es war wirklich kaum noch anzusehen. Manchmal dachte ich, wie schlimm es doch ist, wenn man an einem Einsatzort festgeschraubt ist, für den man offenkundig nie geschaffen war. Als wir unser Haus in Besitz nahmen, übernahmen wir 13 ramponierten Baumarkt-Türen in der Farbe „Eiche-Rustikal“ und waren froh überhaupt so viele Türen zu so vielen unterschiedlichen Räumen zu haben. Irgendwann reichten Kraft und Atem um sie weiß zu streichen. Stabiler hat sie das nicht gemacht. Sie flogen auf und flogen zu, wurden geknallt, manches Mal mit Füßen traktiert, mit Bobbycars attackiert und ständig von Fettfingern beschmiert. Es hätte wenig Sinn gemacht sie in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken, nicht mit dieser Vielzahl an Hausbewohnern in türunfreundlichem Alter.

Aber nun konnten sie nicht mehr, wir alle haben ein würdiges und angemessenes Alter erreicht, sie wurden endlich abgelöst. Als die Handwerker anrückten baten wir sie noch um einen einzigen Balken, den des Küchenrahmens. Dieser Balken, an dem wir seit 15 Jahren an jedem Neujahrstag die Größe der Kinder festhielten. Den wollten wir keinesfalls hergeben und sie taten uns den Gefallen. 13 neue Türen und sie haben das Gesicht des Hauses vollkommen verändert. Obwohl sich dahinter genau die gleichen Wohn- und Schlafzimmer wie vorher befinden, sieht alles anders aus. Heller und freundlicher und noch ein kleines bisschen fremd. Als würde man im wahrsten Sinne des Wortes neue Zugänge finden, die Atmosphäre ist mit einem Mal eine andere, obwohl dieselben Menschen in denselben Räumen leben. Das ist wirklich faszinierend. Das Haus verändert sich mit uns und wir uns mit ihm. Manchmal nur langsam und schleichend, manchmal eben mit dem lauten Knall von 13 neuen Türen. Die haben es natürlich fein. Keiner rammt mehr mit Spielzeugautos gegen sie oder bewirft sie mit Duplosteinen, höchstens der Stoff-Fussball prallt noch dagegen. Stattdessen werden sie immer häufiger mit einem Seufzer der Erleichterung geschlossen, von Teenagern, die endlich ihre Ruhe haben wollen. Ich liebe dieses Haus nicht nur als Zuhause, sondern weil es niemals für sich in Anspruch nimmt, fertig zu sein. Genauso wenig wie ich.

Ich werde niemals fertig. Lange Zeit hing ich der irrigen Vorstellung an, dass ich mich nur noch ein kleines bisschen mehr bemühen müsste, nur ein wenig mehr anstrengen, es nur noch etwas mehr Demut, Disziplin und Fleiß brauche, dann würde ich endlich die beste Version meiner Selbst sein. Freundlicher, klüger, schlanker, eloquenter, ja und frommer und erfolgreich sowieso. Nur noch ein bisschen, dann hätte ich mich und mein Leben fest im Griff. Dieser Vorstellung zu folgen ist nicht nur sehr anstrengend, es führt leider auch in einen lebensfeindlichen Dschungel aus Zweifeln, Unzureichendem, Mangel und Unzufriedenheit. Diese Sorte von Dschungel, die dir Sicht auf all das Schöne, Gelungene und schon längst Gewordene versperrt.

So lange ich lebe werde ich niemals fertig sein. Aber in diesem Leben darf, kann und soll ich zu Hause sein, mich wohlfühlen, liebevoll geborgen, trotz mancher abgeschrammter Ecke, abgeplatztem Lack und den vielen Unaufgeräumtheiten. Dieses mein Leben will von mir bewohnt werden und gestaltet, mit Blumen in der Vase und Staubflusen unter dem Sofa. Das Schöne an einem Zuhause, das niemals fertig wird, ist ja, dass man sich über gelungene Veränderungen freuen darf. Zwei Tage ist die Fastenzeit erst alt, also nahezu noch unberührt. Noch so eine irrige Vorstellung, dass jetzt aber endlich die Zeit zum Aufbruch in das runderneuerte und makellose Selbst gekommen sei. Als müsse man das alte ramponierte Ich in Kisten packen um an Leib und Seele frischrenoviert an Ostern neu erschaffen unter blühenden Zweigen zu stehen.

Ich habe das so oft versucht, dass ich mit Fug und Recht behaupten kann: es funktioniert nicht. Warum auch?! Ich bin ja ich und so wurde ich gedacht und ins Leben gerufen. Warum soll ich alles gewaltsam einreißen und neu erbauen wollen, das wäre doch auch etwas anmaßend, oder? Stattdessen freue ich mich mittlerweile über die Fastenzeit und verstehe sie als Einladung, mir ein paar neue Türen anzuschaffen. Neue Zugänge, die die Atmosphäre verändern, sie heller und freundlicher machen, obwohl sich genau derselbe Mensch dahinter befindet. Ich will keinen Neubau, ich will nur ein paar neue Türen für mein Lebensdaheim, weil die ein oder andere alte um Versetzung in den Ruhestand bettelt. Bei der Auswahl bin ich nicht sehr originell, sie sollen nur tun, was ordentliche neue Zugänge eben so tun. Für mich persönlich heißt das, für ein Weile die Augen vom Social Media Leben wieder auf das echte Leben richten. Draußen unterwegs sein, damit das Drinnen sich sortieren kann. Tagebuch schreiben, damit mir die Zeit nicht davon rinnt. Meine Tröster hinterfragen, du weißt schon, die, die nur so tun als ob- „fake-accounts“ im stressigen Alltag, deren Angebot nur betäubt, aber niemals wirklich Trost spendet. Mich an den echten Tröster wenden. Es ist kein Wettbewerb, den ich gewinnen muss, aber eine Einladung, der ich folgen möchte.

Wie hältst du es mit der Fastenzeit? Öffnest du ein paar neue Türen in die alten Räume? Haben sie Namen? Bist du dir gram, wenn sich in den 40 Tagen herausstellen sollte, dass du dir eine ausgesucht hast, die überhaupt nicht zu dir passt? So oder so wünsche ich dir eine segensreiche Zeit, egal, ob du die Einladung annimmst oder es lieber bleiben lässt. Ostern ist im Übrigen in einer Hinsicht ganz genau wie Weihnachten: es ist ein Geschenk des Himmels, du musst es dir nicht verdienen.

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