Dies und das und jenes

In unserer Schule hängt ein Schaukasten und ich habe die ehrenvolle Aufgabe ihn alle zwei Monate neu bestĂĽcken zu dĂĽrfen. Rund um die groĂźen Feste des Jahreskreises wie Weihnachten, Ostern, Sommerferien ist das nicht weiter schwierig. Interessant wird es in den Zwischenmonaten. April. Hmm. Ostern ist vorbei (natĂĽrlich nicht, aber du weiĂźt schon…) und Ferien sind noch lange nicht in Sicht. Auf der Suche nach Inspiration fiel mein Blick auf ein Bild, das schon lange unseren Flur aufhĂĽbscht. Sein Titel: „Wunder, die nicht zu zählen sind“ und zu sehen ist ein wunderschöner Schmetterling. Mehr nicht. Ein Schmetterling. Ich liebe dieses Bild sehr. Doch wie vieles was man liebt aber täglich sieht, hatte ich es schon länger nicht mehr bewusst wahrgenommen- es ist eben einfach da. Was ein bisschen lustig ist. Die Wunder, die du nicht zählen kannst, sind auch einfach da. Und werden genauso ĂĽbersehen. Ich lieh das Bild dem Schaukasten und weil ein Bild allein keinen Schaukasten macht, suchte ich mir noch etwas UnterstĂĽtzung bei meinen Sechstklässlern. Die befassen sich eh gerade mit dem Thema. Sie sammelten fröhlich Wunder und Wunderbares aller Arten und schrieben sie auf ausgeschnittene Kärtchen und Blumen. Ameisen. Jedes kleine Lebewesen. Das erste FuĂźballspiel nach der langen Winterpause, Kern (wegen des Apfelbaums, der potentiell drin steckt). KirschblĂĽten. Erdbeereis. Am Ende hatten wir einen Schaukasten voll mit kleinen und kleinsten Wunder, die allesamt einen Funken von unendlicher Größe in sich tragen.

Wie oft habe ich darüber geschrieben, wie oft darüber gelesen, wie oft schon darüber nachgedacht? Aber am Ende ist es eben doch etwas, woran wir einander und uns selbst bis zum St Nimmerleinstag erinnern müssen. Weil der Mensch nun mal wahnsinnig vergesslich ist. Weil die Ärgerlichkeiten und Traurigkeiten und Ängstlichkeiten ebenfalls nicht zu zählen sind, aber zusätzlich die nervige Angewohnheit haben sich grässlich aufzublasen und wichtig zu machen. Sie drängen sich auf, fallen dir zwischen die Füße und ins Herz, stellen sich breitbeinig in den Weg. Sie kannst du nicht übersehen. Nein, ich will sie auch gar nicht klein reden, relativieren oder gar negieren. Wie könnte ich? Schmerz ist Schmerz, Trauer Trauer, Angst Angst. Aber jedes Jahr denke ich, dass der Frühling eigens dafür geschaffen wurde uns an all die kleinen Wunder zu erinnern. Das Leben kämpft sich mit Macht nach oben und haut dir explodierende Schönheit um die Ohren. Nie ist es einfacher, selbst durch den stürmischen Regen hindurch, selbst als leidenschaftlicher Misanthrop, so du denn einer wärest, kannst du nicht verneinen, wie schön doch das Leben ist, wie zauberhaft, wie überreich. Jede Blüte ein gewinnendes Lächeln des Himmels.

Ich stehe vor dem Schaukasten meines Lebens und dekoriere ihn mit einigen kleinen Wundern und Wunderbarkeiten, ĂĽber die ich in den letzten Wochen gestolpert bin. Einen groĂźen Raum gebe ich den BĂĽchern. Aha, denkst du vielleicht. Wie originell….Aber es ist so, dass mir die BĂĽcher in den letzten ein, zwei Jahren, vor allem aber im letzten etwas abhanden gekommen sind. Aus schnöden zeitlichen GrĂĽnden. Und weil mein leicht zu ĂĽberreizender Geist am Abend nur noch leichte Kost erträgt. Sie fehlten mir sehr, wie gute Freunde, die man schmerzlich vermisst. Plötzlich kamen sie wieder zurĂĽck. Zum einen, weil ich HörbĂĽcher fĂĽr mich entdeckt habe. MAN KANN BĂśCHER HĂ–REN. Es dauert bei mir wirklich manchmal etwas länger. Und nein, es ist nichts Unanständiges oder Faules dabei, wenn man sich etwas vorlesen lässt. Ich höre beim aufräumen, beim Wäsche waschen, beim Kochen und manchmal einfach so. Hin und wieder ertappe ich mich bei einer stillen Vorfreude auf unliebsame Hausarbeit, weil ich unbedingt wissen will, wie die Geschichte weitergeht. Ich sag es lieber gleich, ich lasse mir das BĂĽcherhören etwas kosten. Aber man kann es auch ĂĽber öffentliche Bibliotheken machen, dann ist es umsonst. Ich bin dabei auf das fĂĽr mich beste Buch seit Jahren gestoĂźen. „Wellness“ von Nathan Hill. Der groĂźe Roman, wie ich ihn liebe, vielschichtig und kunstvoll geschrieben, zum Lachen, zum Weinen und an manchen Stellen schmerzhaft entlarvend. Jetzt habe ich Buchliebeskummer, weil es zu Ende ist und denke ĂĽber die absurde Komplexität des Lebens nach, die wir so angestrengt in mundgerechte und hirnfreundliche StĂĽckchen brechen wollen.

Ich lese auch selbst vor, am Abend den Kindern, was ja auch irgendwie ein kleines Wunder ist. Wer weiĂź, wie lange ich das noch darf, jetzt, wo die Grundschulzeit fast vorbei ist? Gerade lesen wir uns durch „Tintenherz“, was in all den Jahren irgendwie an mir vorĂĽbergegangen ist und ich genieĂźe diese halbe Stunde selbst so sehr, denn ich sehe die Kindheitsdämmerung am Horizont aufziehen und das Herz wird mir dabei ein bisschen schwer. Wenn ich dann mĂĽde in mein eigenes Bett falle schaue ich fĂĽr ein Weilchen in den kanadischen Wäldern vorbei, weil ich Inspecteur Gamache und seinen skurrilen Freunden in Three Pines leider absolut verfallen bin.

Ich dekoriere ein paar Fliederzweige dazu, vor allem den purpurfarbenen, der ist fast schon unverschämt schön. Etwas von dem leuchtenden Tulpenfeld, an dem ich jeden Morgen vorĂĽberfahre. Pfingstrosen und rosafarbene Ranunkeln. Mit einem kleinen Seufzer befestige ich die leckersten Kekse der Welt, die mein Mädchen gebacken hat, und ich bin mir nicht sicher, ob diese Entdeckung so wirklich segensbringend ist, aber hmmm…( dem normalen Cookie-Teig wird jede Gewöhnlichkeit geraubt, in dem man ihm Tahini zugibt, ein Löffelchen Honig und Pistazien, um die Köstlichkeiten darin zu wälzen)

Ach, und wo ich schon Essenswunder aufhänge, kommt gleich noch ein Hefezopf hinzu, irgendwie selbst ausgedacht, herzhaft, nicht süß, gefüllt mit frischem Bärlauch-Pesto und etwas Mozzarella.

Ein Wunder ist definitiv der gefräßigste Hund aller Zeiten, dem es des Nachts jetzt gelingt mit seiner Schnauze und flinken Pfoten Schubladen zu öffnen. Am Morgen finde ich dann spannende Sachen im Körbchen und raufe mir die Haare…Und natĂĽrlich etwas Wolle in hyazinthblau dieses Mal. Langsam wächst das Tuch, was daraus entstehen soll und ich stricke all meine Traurigkeit und mein Vermissen hinein, das mich dieser Tage begleitet. Ich denke an die, die mir das Stricken beibrachte und die seit einem Jahr nun schon fehlt. Sie hat mir diese kleine Kunstfertigkeit hinterlassen, beigebracht in Kindertagen, mit erstaunlich viel Geduld, Masche fĂĽr Masche. Ich bin nicht annähernd so gut darin, wie sie es war, die Norwegerpullover um Norwegerpullover, komplizierte Zopfmuster und ausgeklĂĽgelte Lochmuster zustande brachte. Wann immer ich heute zu den Nadeln greife, ist sie da. Ich höre ihre Stimme, sehe den Blick, mit dem sie das Maschenbild prĂĽft, ihre Freude an Farben und Garnen und daran, dass ich ihre Freude teile. So ein Erbe ist ein Wunder, denn es lässt Tote lebendig werden und schafft eine Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Ich füge meinem Schaukasten noch einige schöne Begegnungen hinzu, die Trompetenmusik, die aus dem obersten Zimmer schallt, die hellen Abendstunden und das laute Singen der Vögel, fertig für heute.

Wenn du einen Schaukasten mit Wundern füllen müsstest? Was wäre darin?

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