Der Opa

Schwups, da ist es ja schon, das neue Jahr! Ich hoffe doch sehr, dass alle gesund und munter gelandet sind?

Pünktlich zum Jahresanfang hat auch der Schneefall eingesetzt und hinterlässt nicht nur schneetolle  Kinder sondern auch blütenweiße Wege und Felder. Weinberge, Büsche und Bäume sehen seltsam verzaubert aus, fast überirdisch schön.  So blütenweiß, wie eben dieses neue Jahr noch vor uns liegt. Alles scheint möglich, neue Pläne, alte Neuanfänge-vielleicht klappt es ja in diesem Jahr?

Silvester wird bei uns sehr unaufgeregt begangen, ganz fĂĽr uns als Familie mit Gottesdienstbesuch und Raclette, Lagerfeuer und, ja ähem, Böllern. Ich bin Mutter von drei Jungs und Frau eines pyromanischen Gatten-auf manche Diskussionen lasse ich mich nicht ein. Einen Ehrengast hatten wir aber an diesem Abend- den Opa! Macht sich der Opa drauĂźen bemerkbar, dann rast  die Kinderschar wie eine wildgewordene BĂĽffelherde zur HaustĂĽr und es dauert eine Weile, bis sich die tumultartigen Zustände wieder gelegt haben und der Mann sich ins Wohnzimmer vorarbeiten darf. Mein Schwiegervater ist fast 87 Jahre alt, gesund wie eine alte Eiche, groĂź, gewaltig und polterig. Er lacht gerne und laut, ist disskussionsfreudig und herzlich. Der Gatte ist, was die letzten Punkte anbetrifft, ganz sein Sohn. Nur das mit dem Hören funktioniert nicht mehr richtig, was den Lärmpegel in unserem eh schon lauten Haus in ungeahnte Höhen treibt (man stelle sich vor, wenn fĂĽnf Kinder gleichzeitig versuchen, sich einem schwerhörigen Opa verständlich zu machen…)image

Nach dem Abendessen machte der Gatte ein großes Lagerfeuer im Garten, wir drängten uns drumherum in der bitteren Kälte, die Kinder grillten Marshmallows, wir überlegten gemeinsam, wofür wir dankbar sind, am Ende des Jahres. Und der Opa erzählte. Von seinen Weltreisen als junger Mann, bei denen es kein all inclusive und keine ausgebaute Infrastruktur gab (er reist immernoch muss man wissen, wenn es ihm zu kalt wird beispielsweise, oder die Reisefreude ihn überkommt, also vier fünfmal im Jahr), von der Liebe seiner Eltern, den Abenteuern mit seinen Brüdern, von seiner Zeit als junger Familienvater. Meine Kinder lieben es, wenn der Opa erzählt, von fernen Ländern und alten Zeiten, von der Oma, die sie nie kennenlernen konnten, von Tagen, als ihr Papa ein kleiner Junge war. Und ich bestaune diesen Menschen, der mit fast neunzig Jahren im Reinen ist, mit sich und der Welt, der nicht schimpft und nicht hadert. image

In der Nacht überlegen der Gatte und ich, dass der Opa auch eine ganz andere Geschichte erzählen könnte. Die Geschichte einer Kriegskindheit, von Hunger und einem zerbombten Zuhause. Von der Granate, die ihm beim Spielen einige Finger kostete. Von den Mühen vier Jungs auf den rechten Lebensweg zu bringen, von der großen Trauer um seine zu früh gestorbene Frau, von der Einsamkeit in einem nun viel zu großen, leeren Haus. Aber so erzählt er die Geschichte nicht. Er behält das Gute und gibt es weiter. Seine Enkelkinder saugen es auf. Es ist nicht so, als wäre das Andere nicht gewesen. Aber er gesteht ihm keine tragende Rolle im Bühnenstück seines Lebens mehr zu.

Das Gute behalten und nach vorne schauen. So möchte ich es auch einmal halten können, wenn ich eine Oma bin. Eigentlich möchte ich es jetzt schon so halten. Der blütenweiße Anfang des neuen Jahres ist die beste Gelegenheit, um zu üben. Bin ich letztes Jahr gescheitert? Oh ja, immer und immer wieder. Bin ich am Anfang des neuen Jahres wieder unzufrieden mit Gewicht, Ordnung, Lebensführung, mit meinen Qualitäten als Mutter, Ehefrau und Freundin? Aber hallo! Ich lasse es zurück. Und fange einfach wieder von vorne an. Im Gepäck habe ich das, was mir gelungen ist, in den vergangenen 365 Tagen, was mir geschenkt wurde und mir Freude gemacht hat. Schöne Erinnerungen an einen tollen Urlaub, gelungene Familienstunden, an aufregende Einschnitte, liebe Menschen und wunderbare Besuche. Soviel Gutes wurde uns gegeben.

Am Ende eines jeden Besuches steigt der Opa in sein Auto und fährt laut hupend und winkend von dannen. Wir winken und brüllen hinterher. Bis zum nächsten Mal. Und setzten vorsichtig die ersten Schritten in das schneeweiße, niegelnagelneue Jahr 2017, mit leichtem Herzen und voller Zuversicht.

Ein gutes neues Jahr! Gottes Segen und viel Freude am Gestalten!

1 Kommentar zu „Der Opa“

  1. Eine wunderschöne Ermutigung das neue Jahr zu begegnen. Dein Schwiegervater erinnert mich sehr an meinen Opa, der bei uns im Dorf lebt und uns häufig besucht.
    Frohes neues Jahr, glg Lena

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