Wer bin ich?

Vor ein paar Tagen, wirklich sehr frĂĽh am Morgen, da durfte ich Zeugin einer sehr interessanten Unterhaltung werden. Das Gespräch, gefĂĽhrt von meinen beiden liebsten Dreijährigen, fand in meinem Bett statt, also ist es nicht wirklich lauschen- eher unverhofftes ZuhörerglĂĽck. Die kleine Maus hatte eine neue Weisheit aufgeschnappt und diese musste sie dringend an ihren Bruder weitergeben:“ Die Mama ist die Sandra!“ Es war leider dunkel, ich konnte denn Gesichtsausdruck des kleinen Mannes nicht sehen, schade eigentlich. Er antwortete seiner naseweisen Schwester: “ Nein!! Die Mama ist die Mama!“ Die Schwester insistierte weiter: “ Nein, die Mama ist die Sandra!“ So ging es munter eine Weile hin und her, nur die Stimmchen wurden immer lauter. Bis der kleine Mann mit vor Empörung zitternder Stimme irgendwann brĂĽllte:“ Die Mama ist meine Mama, weiĂźt du!!! Hör auf jetzt!!“ Ja, es geht durchaus lustig bei uns zu, morgens um 6.00Uhr und mein Johann war nicht zu ĂĽberzeugen- so wie vor wenigen Wochen, als er einfach nicht glauben wollte, dass seine geliebten Erzieherinnen nicht im Kindergarten wohnen. So einen Unsinn glaubte seine Schwester ĂĽbrigens auch nicht, da musste die Mama einfach irren.

So lustig ich dieses Zwiegespräch auch fand, irgendwie beschäftigt es mich seither. Und als ich gestern alle Wege zu fuß durch den Schnee stapfte, hatte ich genügend Zeit mir darüber Gedanken zu machen. Für meine Kinder bin ich die Mama und sonst gar nichts. Für den Gatten bin ich seine Ehefrau mit allem, was dazu gehört, aber vielleicht auch noch die Freundin, die ich war, als wir noch nicht verheiratet waren und keine Kinder hatten. Er kennt meine guten, aber auch die nicht so guten Seiten am besten und mag mich trotzdem. Oft bin ich die, mit den vielen Kindern. Eine Zeitlang war ich mal Frau Geissler für eine Horde Schülerinnen, die sich auch nicht vorstellen konnten, dass Lehrkräfte nach der Schule ein normales Leben führen. Wann immer ich mit meinen liebsten Freundinnen aus Studientagen zusammen bin, dann bin ich auch wieder Studentin und wir werden wohl nie aufhören uns auch als die zu sehen, die wir in diesen Jahren waren, egal mit wie viel Kindern wir nun um den Kaffeetisch sitzen. Wenn man ehrlich ist, dann sieht man tatsächlich in der Regel nur einen Ausschnitt vom Bild eines Menschen und nicht das Gesamtkunstwerk und je weniger wir ihn kennen, desto kleiner der Ausschnitt (und um so fataler, vorschnell zu urteilen).

Ich bin Mama, natürlich, von Herzen gerne und mit Leib und Seele. Aber ich bin auch Sandra, Ehefrau, Freundin, Christin, Theologin, Leserin, Chorsängerin und noch vieles mehr. Zu jedem Bereich gehören unzählige Facetten und noch mehr Adjektive. Wenn ich es recht bedenke, dann glaube ich nicht daran, dass man den einen Lebensabschnitt abschließt, hinter sich lässt und dann zum nächsten weitergeht. Ich glaube vielmehr, dass all diese Menschen, die wir schon waren, auch noch in uns stecken. Das kleine Mädchen und der Teenie mit Weltschmerz, die Studentin mit wenig Durchblick und die Berufsanfängerin mit Enthusiasmus und bangem Herzen. Die Braut und die junge Mutter. Sie alle haben ihre Spuren auf dem Bild meines Lebens hinterlassen und melden sich manchmal bis heute unverhofft zu Wort. Erst am Ende eines Lebens werden wir das Gesamtkunstwerk anschauen können und begreifen, wie sich alles ineinander fügt. Der einzige, der alle Facetten, Bildausschnitte und Farbnuancen kennt, ist mein Gott, auf den ich vertraue.

Ach ich hoffe, dass es am Ende ein Bild mit warmen Farben sein wird. Mit vielen Schattierungen und der ein oder anderen dunklen Ecke, bunt aber doch harmonisch. Gewiss nichts Abstraktes oder gar Graphisches (ich habe da, glaube ich, eine kleine Phobie). Und dann werde ich es mir anschauen und sagen könne: Ja, das bin ich.p1010336

Bis dahin werde ich versuchen, die Harmonie der Farbwahl ein wenig zu beeinflussen (Gejammere ist wahrscheinlich ein fieser Olivgrauton…). Und ab und an einen Schritt zurĂĽcktreten, um auch bei den anderen Menschen mehr als nur einen Ausschnitt erhaschen zu können. Weil wir eben immer mehr sind, als das, was der Augenblick hergibt. AuĂźer wenn man drei Jahre alt ist. Dann ist die Mama die Mama. Punktum und Gott sei Dank.

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