Auf der Habenseite

Finster schaue ich in diesen Montagmorgen, der genauso düster und wolkenverhangen ist wie meine Laune. Ich erwäge kurz Einspruch zu erheben gegen diesen Wochenbeginn, für den ich mich so gar nicht gewappnet fühle. Aber wo? Wo kann man Aufschub erbitten für müde Mamas mit schweren Herzen?

Gestern kehrte ich mit meinem Mädchen aus der Kommunionkinderfreizeit zurück, die schön war und anstrengend, spannend und bereichernd. Mit 25 Kindern drei Tage im Wald, irgendwo im Nirgendwo ist immer aufregend und auch ein wenig erschöpfend- für alle Beteiligten. Man lernt sich doch nochmal ganz anders kennen. Ich war glücklich, das mit meinem Mädchen erleben zu dürfen.

Kaum zu Hause angelangt  rummste ich direkt hinein in dieses knochenharte Geschäft, dass sich Erziehung nennt. Ein Geschäft, das wahrlich nichts für Weicheier und Feiglinge ist. Erziehung ist schwere, schwere  Arbeit, Routine stellt sich nicht ein, nicht wenn es hart auf hart kommt. Und gestern war ich müde, da ist Erziehungsarbeit nicht immer die beste Idee- nur eine Wahl hat man ja nicht, wenn es kommt, dann kommt’s. Zum Menschsein gehören die Abgründe dazu, zu jedem einzelnen von uns. Sonst wären wir ja Gott und nicht Mensch. Wird man gezwungen in die Abgründe des eigenen Kindes zu schauen, dann wird es richtig bitter, fast bitterer als sich der eigenen immer wieder bewußt zu werden. Irgendetwas in mir will, dass sie immer so perfekt, so unschuldig und unberührt bleiben, wie in dem Moment, als ich sie zum ersten Mal in den Armen hielt. Aber sie wachsen und werden größer, sie werden ganz eigene Menschen mit ganz eigenen, wunderbaren Persönlichkeiten. Zum Menschsein gehören die Abgründe. Ich will immer nur das Beste in meinen Kindern sehen, aber immer geht eben nicht. Elternliebe hält das aus, sie trägt und sie stützt. Aber wegsehen und ignorieren von Abgründen ist keine Option- was bleibt ist harte Arbeit. Leider gibt es kein Handbuch, keine Bedienungsanleitung zum Umgang mit schwierigen Situationen und bockenden Kindern, noch nicht einmal eine Erfolgsgarantie, die ich gerade dringend bräuchte. Nur zur Beruhigung. Ein Hoch allen Eltern, die sich Tag für Tag mit diesem mühseligen Geschäft plagen, ihr Bestes geben, die nicht müde werden, ihren Kindern beim Großwerden zur Seite zu stehen. Denn das ist Schwerstarbeit.

Ich wappne mich für diesen Montag, sammle das, was ich auf der Habenseite verbuchen kann und ihm trotzig entgegenschleudere: die Liebe, die niemals aufhört. Vergebung, immer und immer wieder. Das Ohr einer Freundin, die mir echten Trost schenkte. Der  schnelle Marsch durch kaltes Regenwetter zum Fassen klarer Gedanken. Mein Beten für meine Kinder und alle Eltern dieser Welt, die Verantwortung tragen. Ein gutes Wochenende. Ein glückliches Mädchen. Die Freude, als ich nach Hause kam. Ein Dreijährige die man Abend belauschen kann, wenn sie in ihrem Bettchen liegt und singt: „Du bist ein Ton in Gottes Melodie…“ (stimmt ja, auch wenn der Ton manchmal schief klingt)

Immer wieder staune ich fassungslos, was Familie alles bedeutet. Liebe und Zusammenhalt, alle die schönen Momente und gemeinsamen Erfahrungen. Aber vor allem und vielleicht noch viel wichtiger: ein Raum zum wachsen und entfalten, zum hinfallen und wiederaufstehen, zum Halt geben. Gemeinsam über steinige Stücke klettern und trotzdem nie die Zuversicht verlieren. Das Aushalten von Abgründen und die Suche nach Lösungen. Was für ein Wahnsinngeschenk und was für eine irre Herausforderung.

Und nun atme ich ein und atme wieder aus- und dann packe ich diesen Montag an und alles was er bereithalten wird.

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