Attachment parenting, bindungsorientierte Erziehung, Montessori, Leben im Familienbett… Stöbert man ein wenig in der Bloggerwelt und handelsüblichen Ratgeberabteilungen, dann klingeln einem die Ohren von all den Erziehungskonzepten und Modellen. Alle sehr spannend, an allen irgendwie etwas Wahres dran, bewundernswert durchdacht. Irgendwo im Hinterkopf schwirrt auch noch Herr Winterhoff, der Mahner aller Eltern. Ist der noch en Vogue, oder schon längst wieder überholt? Keine Ahnung. Glücklicherweise wusste ich von all diesen Sachen nichts, als ich vor fast elf Jahren ins Erziehungsgeschäft einstieg, denn es hätte mich schlicht verrückt gemacht. Als ambitionierte Erstlingsmutter wollte ich vor allem Eines: das Beste für mein Kind und bloß keine Fehler machen, ein solcher Dschungel an Erziehungsentwürfen hätte mich endgültig verwirrt. Stolpere ich jetzt über solche Seiten, dann stelle ich erleichtert fest: interessant, aber es stresst mich nicht und so schnell lasse ich mir auch nicht mehr unter selbstgemachten Druck setzen. Der Gatte und ich leben und lieben Familie, aber wir erziehen unsere Nachkommen ganz munter ohne Konzept. Leben nach Anleitung stelle ich mir furchtbar anstrengend und schwierig vor und es ist einfach nicht unser Ding. Nichts desto trotz kristallisiert sich doch so etwas wie ein roter Faden im Laufe der Jahre heraus, Eckpfeiler, die uns im gemeinsamen Leben und Erziehen wichtig geworden sind, die uns als Familie prägen.
- Hören. Jeden Tag, wenigstens einmal, will ich jedes meiner Kinder hören, nicht nur ihre zarten Stimmchen, ihr Geplapper und Getobe in der Symphonie des täglichen Familienkonzerts, nein, ich meine das genaue Hinhören. Ich frage nach, wie es geht und was gerade dran ist, hören wie und wofür ihr Herz schlägt. Manchmal beim Essenkochen, auf der Fahrt zur Musik oder Sportstunde, manchmal beim Bilderbuchlesen auf der Couch, manchmal erst am Abend auf der Bettkante. Manchmal dauert es nur fünf Minuten, manchmal braucht es ein langes Gespräch. So rutscht mir im Gewusel des Alltags keiner durch die Maschen und ich kann beruhigt Schlafengehen.
- Sehen. Ich sehe meine Kinder und alles was zu ihnen gehört, ihre unterschiedlichen Charaktere, ihre herausfordernden Eigenschaften und liebenswerten Seiten. Ich sehe den Gatten und mich selbst. Das gibt schon mal einen hübschen Einblick in die Vielfalt menschlicher Charaktere und ist manchmal ganz schön anstrengend. Umso wichtiger, dass wir alle einander sehen im Sinne von wahrnehmen, aufeinander Rücksicht nehmen und einander gelten lassen. In Familie kann sich keiner absolut setzten oder sich selbst zu wichtig nehmen. Das ist doch eine ganz gute Schule fürs Leben und seiner noch größeren Artenvielfalt.
- Schmecken. Dreimal am Tag treffen wir uns rund um unseren Esstisch und essen gemeinsam. Klappt natürlich nicht immer, mittags fehlt der Gatte und der Große isst nach. Aber auch er sitzt nie allein am Tisch, immer leistet ihm jemand Gesellschaft. Wir sind beieinander, essen, erzählen, diskutieren und verlieren uns so nie aus den Augen. Damit es auch schmecken kann, legen wir tatsächlich Wert auf Tischmanieren. Gemeinsam anfangen, Bitte und Danke sagen, gerade sitzen, kein Rülpsen und kein Schmatzen. Und das ist wirklich mühseligstes Erziehungsgeschäft, immer und immer wieder. Irgendwo las ich neulich, das solche Höflichkeitsformen völlig überholt seien, da womöglich nicht aus tiefster Seele kommend und damit unehrlich. Sehe ich tatsächlich anders. Höflichkeitsformen erleichtern das gemeinsam Miteinander, ich grüße viel und gerne und bedanke mich auch für Sachen, die mir nicht gefallen, denn immerhin hat jemand an mich gedacht. Unsere gemeinsamen Mahlzeiten strukturieren unseren Tag, jeder darf auftanken und dann gestärkt an Leib und Seele wieder seiner Wege ziehen.
- Fühlen. Vielleicht das Wichtigste. Immer mehr lerne ich, auf mein Gefühl, auf mein Herz zu hören. Kinder im Elternbett? Für uns fühlt es sich richtig an. Deswegen gehen wir jeden Abend zu zweit ins Bett und wachen morgens in der Regel zu fünft wieder auf. Da brauchts kein Konzept, es ist einfach so. In ein paar Jahren kommen sie von selbst nicht mehr. Das gilt für nahezu alle Lebensbereiche, für Schule und Konflikte, für Medienkonsum und Alltagsentscheidungen. Lockerlassen, auf die innere Stimme hören und darauf vertrauen, dass sie sich rechtzeitig meldet, wenn irgendetwas nicht richtig läuft.
- Riechen. Jede Familie hat ihren eigenen Stallgeruch und das ist doch ganz phantastisch. Wir untereinander können uns gut riechen, wir sind einander vertraut, fühlen uns beieinander geborgen. Das ist das Urwesen von Familie. Und wenn wir einander mal nicht riechen können? Dann kracht es. Wir sind keine Konfliktvermeider, nicht in unseren vier Wänden. Der Gatte und ich sind normale Menschen, genau wie die Kinder und das dürfen die auch gerne wissen. Wir machen Fehler und irren manchmal. Jeder hat mal schlechte Laune oder vergaloppiert sich. Und dann entschuldigen wir uns, damit wir uns auch weiterhin gut riechen können.
Gemeinsam Familie leben- mit allen Sinnen. Diese Sinne sind uns von Gott gegeben und mir reicht das als roter Faden, mehr Konzept und Programm brauche ich nicht. Ich will darauf vertrauen können, dass er uns das nötige Rüstzeug zum Elternsein mitgegeben hat. Was ist euer roter Faden durchs Familienleben?
Oh was für ein toller Beitrag. Danke, Danke, Danke!!! Uns geht es genau so, wir wachen am nächsten Morgen auch meist alle im gemeinsamen Bett auf.
Danke Lena und dir und deiner Familie alles Gute in den nächsten spannenden Monaten
Wunderbar geschrieben!!
Ich steh so garnicht auf Erziehungsratgeber. 😉 Als könnte man als Mutter alles richtig machen, wenn man sich an einen 10-Punkte-Plan hält?!
Jede Mama, jedes Kind und jede Familie ist einzigartig! Und wir dürfen auf unser Herz hören, wie wir in unserer Familie Beziehungen leben!
Dein roter Faden ist toll!!
Über sowas hab ich mir noch garkeine Gedanken gemacht, aber der gefällt mir so gut, den könnte ich glatt übernehmen! <3
Dankeschön, dass freut mich sehr. Liebe Grüße
So ein wunderbares Posting!
Ich kann dem gar nicht mehr viel hinzufügen, weil wir es tatsächlich auch genau so handhaben. Erziehungsratgeber habe ich nur „Babyjahre“-ich glaube so hieß es- gelesen (und der hat mir so manches mal beim ersten Kind die Babyphase erleichtert!) und bin dann immer mehr dahin gewachsen meinem Bauchgefühl zu trauen.
Wichtig ist uns noch die Kinder nicht auf irgendwas hin zu bearbeiten…für uns ist das manchmal Manipulation was wir bei einigen so beobachten und das mögen wir nicht. Lieber Klartext reden oder dann ggf. auch mal einen Konflikt angehen, aber es sollte authentisch, eben ehrlich sein. 🙂
Liebe Grüße, Maike
Authentisch und ehrlich trifft es gut. Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße
Ich hab schon einige Erziehungsratgeber gelesen… und irgendwann beim zweiten Kind damit aufgehört 🙂 Ich suche mir jetzt ab und zu etwas aus, was mir gut tut oder was speziell zu einem Thema ist, was mich beschäftigt (aktuell lese ich „Selbst ist das Kind“, da geht es um Hilfe im Haushalt und wie Kinder selbstständig werden). Oder was zur Pubertät. Hier fühle ich mich oft noch recht ratlos… Im Moment organisiere ich gerade einen Seminarabend mit einer 6-fach-Mutter, die etwas über den „Familienrat“ weitergibt. Am liebsten frage ich aber einfach andere Familien, die so ähnlich sind wir (die so ähnlich sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken 🙂 – genial, dein „Nicht-„Konzept <3 ). Der Austausch hilft mir oft… Ich finde es für mich einfach wichtig, von Zeit zu Zeit mal zu versuchen, mit etwas Abstand auf uns zu schauen und zu überlegen, ob es irgendwo hakt, ob man was ändern könnte/sollte/müsste… egal ob mit Büchern, im Austausch mit anderen, mit einem Seminar. Das wichtigste finde ich aber, authentisch zu sein und zu bleiben. Nicht einem Ratgeber folgen, sondern den Rat herauspicken, der zu einem passt und der einem hilft… Liebe Grüße, Martha
Da hast du völlig recht, liebe Martha. Deshalb mag ich manche Blogs ja auch so gerne, weil sie authentisch sind und man sich rauspicken kann, was zur eigenen Familie passt. Nur das Absolutsetzen von Entwürfen, damit kann ich nicht. Familienrat fand ich zum Beispiel eine ganz tolle Idee- und hat bei uns überhaupt nich funktioniert. Was solls, finden wir eben einen anderen Weg. Sei lieb gegrüßt
Hat dies auf mamaabba rebloggt und kommentierte:
Die besten Tipps zu Erziehung, die ich seit langem gelesen habe!! So wertvolle Gedanken!! Danke Sandra!
Pingback: Lesetipp: "Mit allen Sinnen" - 7geisslein - mamaabba
Vielen vielen Dank für den tollen Beitrag liebe Sandra – vor allem das Hören muss ich echt konsequenter umsetzen, da kamen Deine Tipps hier gerade recht! Und es ist soooo wahr, dass Eltern heutzutage vor lauter Ratgebern und Erziehungskonzepten schnell den Überblick verlieren können – zum Glück habe ich das schon beim ersten Kind aufgegeben so was zu lesen ;-). LG Miri