Komm, ich schenke dir was

„Hast du es denn gelesen?“, fragte mich mein großer Junge. In den Händen hielt er die ersten drei Bände der „Chroniken von Narnia“, die ihm sein Opa zum Geburtstag geschenkt hatte. „Ähm nein. Aber ich vermute da eine große Bildungslücke bei mir, denn sie sollen ja wirklich toll sein“. Eine Woche später stand der Knabe wieder vor mir, das Buch in den Händen, „aller-spätestens-Licht-aus-Zeit“ so was von vorbei, und meinte zögernd: „Willst du es denn mal lesen? Ich würde es dir leihen…?!“

Was?! Mein erster Impuls wäre ehrlicherweise ein herzliches „Nein, danke!“ gewesen. Nicht, dass ich diese Bücher nicht wirklich schon immer mal lesen wollte. Nicht, dass Kinder, die zu nachtschlafender Zeit unbedingt noch ein Buch auslesen müssen, nicht mein vollstes Verständnis hätten. Aber: du liebe Güte, weiß dieses Kind eigentlich, wie voll der Kalender gerade ist?!! Ich habe gar keine Zeit für solch einen Müßiggang. Stattdessen hänge ich den übervollen Listen gnadenlos hinterher. Hake ich einen Punkt auf der endlosen Liste als erledigt ab, dann tauchen wie durch Zauberei drei neue auf. Kleiderschränke wollen gemistete werden, ständig wachsen diese Kinder aus ihren Klamotten raus, der Garten, der Keller, irgendwelche Klassenarbeiten, Fahrradprüfung, Termine, dreiundfünfzig verschiedene „ich müsste dringend“ und und und… ich schlafe abens um zehn fast im Stehen ein und sollte jetzt noch ein Buch lesen…nein wirklich, beim besten Willen, es geht eigentlich gerade überhaupt gar nicht…oder doch? Ich sah in die erwartungsvollen Augen meines Buben, der so gefesselt war, von Narnia und der ganzen großen Geschichte drumherum, und der dieses Abenteuer mit mir teilen wollte. Es ist gar nicht so einfach, gemeinsame Vorlieben mit einem Elfjährigen zu teilen, gemeinsam gefesselt zu sein und fasziniert von einer Sache, nicht, wenn Lego Superheros nicht so dein Ding sind. Wollte ich meinem Kind, dessen Zeitplan ähnlich eng bestückt ist, wie meiner, nur noch über Lateinvokabeln und Nawi- Hausaufgaben begegnen? Nein, natürlich nicht.

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„Klar, aber gerne doch!“, seufzte ich, und nahm das Buch entgegen. Und fing an zu lesen. Und war gefesselt. Von den ersten Zeilen an. Nein, eigentlich habe ich keine Zeit. Deswegen steckt das Buch in meiner Handtasche. Und wann immer ich kurze Wartezeiten zu überbrücken habe, dann lese ich. Im Auto, vor dem Kindergarten, während ich Tomatensoße rühre und während die Kleinen Musikgarten haben. Und täglich tauschen wir uns aus, über die fiese Königin, Aslan und die ganze verrückte Welt. Vielleicht ist dieses Geschenk meiner Zeit und meiner Aufmerksamkeit mehr wert, als alles, was ich im Laden kaufen und bei Amazon bestellen könnte. Und dieses Geschenk, dass  ich nur so widerwillig rausrückte, wurde mir längst um ein vielfaches zurück geschenkt. In den Gesprächen mit einem Elfjährigen, während wir am Abend die Spülmaschine einräumen oder ich ihm Gesellschaft leiste, bei seinen späten Mittagessen. In seinen Augen, in seiner Stimme, die jedes Detail zur Sprache bringt und die vor Begeisterung schwingt.. Und ich darf es teilen, das nimmt mir keiner! In dieser Geschichte, die mein Herz erfreut und in deren Sprache ich mich verliere. Immerhin- ich schließe eine Bildungslücke.

Immer und immer wieder darf ich diese Erfahrung machen. Ich schenke meinen Kopf als lebenden Frisierkopf her für mein Mädchen, und sie kommt ins Plaudern und Erzählen, während ich unter dem ziependen Kamm die Zähne zusammenbeiße. Ich lese Fußballbücher vor, die mich wirklich nicht die Bohne interessieren, und bin plötzlich einem Zweitklässler ganz nahe.  Samstagsmorgens um sechs, wenn fast alle anderen noch schlafen, jaaa -das ist unsere Stunde! Ich gehe Woche für Woche ins Mutter-Kind -Turnen, obwohl ich wenig mehr verabscheue, als stickige Turnhallen und miefige Umkleiden. Meine Kleinen aber lieben es. Und so rennen wir Woche für Woche als Hüpferdechen durch die Halle, die erfüllt ist mit lärmenden Kindergeschrei. Ich verschenke mich, meine Zeit und mein Herz. Es kostete mich Überwindung, immer wieder. So vieles wäre wichtiger, so vieles dringlicher und der Ordnung zuträglicher.

Aber was willst du mit der schönsten Ordnung, wenn du die Möglichkeit hast, so reich beschenkt zu werden?! So reich, dass sich die Balken in der Schatzkammer deines Herzens biegen? Siehst du?

Und so verschenke ich munter weiter und werde reicher und reicher. Also wenn du mich irgendwo siehst, an der Supermarktkasse oder an der Tanksäule, mit einem schiefen Zopf und einem Kinderbuch in der Hand…dann weißt du Bescheid. Dann hast du eine wirklich reiche Frau getroffen. Ich wünsche dir von Herzen einen ebensolchen Reichtum. Sei reich, dass die Balken deines Herzens sich biegen!

13 Kommentare zu „Komm, ich schenke dir was“

  1. Liebe Sandra,
    deine Beiträge sind wirklich ein Gottesgeschenk für mich! Du schreibst so tolle Impulse, die mir (schon öfter einmal) nachgehen. Danke -aus tiefstem Herzen und heute am Sonntag etwas müde nach einer vollen Woche und noch keinem Sonntagsgefühl…

  2. Liebe Sandra,
    ich liebe deinen Blog! Mit diesem Text hast du mir wieder einmal Tränen in die Augen gezaubert. Mach weiter so!

  3. Liebe Sandra, deine Texte sind so wundervoll… Du solltest echt ein Buch schreiben! Hiermit bestelle ich schon mal zwei Exemplare vor, eins für mich und eins zum Verschenken 🙂 Liebe Grüße, Martha

    1. Das ist ja fast schon ein Arbeitsauftrag, liebe Martha! Manchmal denke ich ja, ich sollte mehr schreiben, denn es erfüllt mich so. Manchmal denke ich aber auch, man sollte es berufeneren Menschen überlassen…Aber ich freue mich so, über die liebe Rückmeldung. Sei herzlich gegrüßt!

  4. Oh, wie wahr! Ich habe 4 Kinder zwischen fast-10 und reichlich-1 und weiß auch so gut, wie es sich anfühlt, das ich-müsste-eigentlich mal sein zu lassen… und zur Belohnung so viel Gutes hingelegt zu bekommen. Ich lese schon ein Weilchen immer mal mit und freue mich über jeden Post. Das steckt immer so viel Friede und Freude drin, die ansteckt.
    Danke dafür,
    Kristina

  5. Ach, wie schön geschrieben!!! Danke für die Erinnerung an den Reichtum, den ich oft so leicht übersehe. Mein Sohn liebt es mit mir zusammen zu malen (wenn er mal nicht Auto spielt und durch die Gegend tobt). Ich LIEBE diese Zeit mit ihm in der wir versunken nebeneinander sitzen und einfach zusammen SIND. DANKE für deinen schönen Blog! Ich bin immer voller Ehrfurcht wie du es schaffst bei so einer großen Familie, die Zeit zum Schreiben zusammenzukratzen. Ich glaube allein daran sieht man schon, dass Du einen Ruf zum Schreiben hast, gegen den du nicht ankommen wirst :-). Du hast eine wunderbare „Stimme“ und Gabe zu schreiben. Ich bin gespannt wo dich das noch hinbringen wird. SEGEN von Aslan! 🙂
    Christina

    1. Liebe Christina,
      besser spät als nie möchte ich natürlich Drake sagen, für deinen lieben Kommentar. Ich habe mich sehr gefreut und fühle mich durchaus ermutigt! Liebe Grüße

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