Im Rhythmus

Ach, ihr lieben evangelischen Mitchristen, da wünsche ich euch doch wirklich von ganzem Herzen einen gesegneten Reformationstag, Gottesdienste, die berühren und Feierlichkeiten, die es in sich haben! Und ich bin auch sehr dankbar, für diesen geschenkten Tag. Endlich mal ein Feiertag, der mich persönlich überhaupt nicht betrifft… wir sind dann erst morgen wieder an der Reihe. Von mir aus können wir das jetzt gerne  jedes Jahr so handhaben. Ehrlich gesagt: wir brauchen diesen Tag  dringend, um das Elend der Zeitumstellung irgendwie zu verarbeiten. Obwohl ich wirklich bekennende Frühaufsteherin bin, halte ich fünf Uhr am Morgen für zu früh, wenn man den Rest des Tages aufrecht und in Würde überstehen möchte. Aber kleine Menschen können nicht einsehen, warum sieben jetzt das neue sechs ist. Und es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sich die Schlafzeiten wieder normalisieren. Wir sind in dieser Familie so sehr angewiesen, auf den gleichmäßigen Rhythmus aus Wachen und Schlafen, auf das gleichmäßige Schlagen innerer Uhren, die viel schwerer umzustellen sind, als die Uhr an meiner Küchenwand. Da kommt so ein Atempäuschen wie gerufen und lindert die Auswirkungen von mangelndem Schlaf. Wir spielen und lesen einfach so lange, bis alles wieder an den richtigen Platz gerutscht ist.

Seit ich nicht mehr alleine durchs Leben stolpere sondern immer im Rudel, merke ich immer deutlicher, wie wichtig und erleichternd ein gleichmäßiger Rhythmus und feste Strukturen im Alltagsgewusel sind. Sie halten uns davon ab, auseinander zu bröseln und uns zu verlieren, sie geben Halt und Sicherheit, den kleinen und den großen Menschen in unserem Haus. Feste Zeiten für gemeinsame Mahlzeiten, das Gute Nacht Gebet, der Segen an der Haustüre, feste Rituale und liebe Gewohnheiten, bestimmte Essen zu bestimmten Anlässe, bestimmte Bücher und Lieder tragen uns durch die Tage, die Wochen und das Jahr. Hunderter solcher Strukturfäden weben ein festes Tuch mit buntem Muster. Wenn es dir kalt wird, dann kannst du dich einhüllen und wärmen. Manch einer mag die Nase rümpfen, an Zwänge denken, mangelnde Spontanität und an fehlende Freiheit. Aber so empfinde ich es gar nicht. Denn gerade der Rhythmus unseres Alltags schenkt unglaubliche Freiheit. Du musst das Rad nicht täglich neu erfinden. Wenn das Leben mit seinen Unwägbarkeiten über dir zusammenschlägt (und das tut es, immer wieder, egal ob du drei oder dreiundachtzig bist), dann weißt du, worauf du dich verlassen kannst, die nächste Haltestelle ist nicht weit. Wenn du am Suchen und Entdecken bist, dann ist es gut zu wissen, wo du eine Pause einlegen kannst. Lange Jahre war „Der König der Löwen“ der liebste Lieblingsfilm meines schleichverrückten Sohnes. Auch wenn ich kein großer Disneyfan bin, es liegt viel Berührendes in diesem Film (hach und die Musik natürlich…). Du kannst dich fallen lassen, in den Rhythmus eines Tages, einer Woche, eines Jahres und eines ganzen Lebens und es dann füllen, mit deinen eigenen Geschichten und Abenteuern. Alles zu seiner Zeit. Auch das Wachsen, das Lernen, das Älterwerden.

Wie jedes Jahr werde ich den November mit einem leisen Lächeln im Herzen begrüßen, einfach weil ich ihn mag, den armen, vernachlässigten. Er ist ein ganz wunderbares Geschenk, dieser Monat, die Ruhe vor dem großen Weihnachtsgetöse, mit all den Feierlichkeiten, Anforderungen und dem Organisationswirrwarr. Er fügt sich ganz harmonisch ein, in den Jahresrhythmus, ist die Atempause nach dem langen, hellen Sommertagen und den Herbstwochen in ihrer übervollen Üppigkeit. Zeit zum Innehalten, Sortieren und Erinnern, aber auch zum Luftholen und Kraftschöpfen. Du musst dich natürlich darauf einlassen. Die Weihnachtssonderangebotsheftchen und die Dominosteine in den Wind schlagen und sagen: „nein, ihr Lieben, eure Zeit ist noch nicht gekommen!“ Wir dürfen die Ruhe nicht niederlärmen, in dem wir die Adventszeit mit aller Gewalt nach vorne zerren, bis sie ratlos und deplaziert dem November den Sinn abspricht und dabei selber immer sinnentleerter wird. Neulich hörte ich im Radio von empörten, hessischen Bürgern, die sich an der kirchlichen Kritik an der Eröffnung des Weihnachtsmarktes, deutlich vor Totensonntag, störten. Warum? Warum nur darf nicht alles seine Zeit und seinen Ort haben. Im Kleinen und im Großen. Erdbeeren im Sommer, Plätzchen im Dezember. Wachen und Schlafen. Arbeiten und Ausruhen. Spielen und Lernen. Veränderung und Stillstand. Gezeiten des Lebens, die Freiheit schenken und neue Räume eröffnen.

Für manche ist heute ein Tag zum Feiern, für manche ein Tag zum Ruhen. So oder so- einen novembrigen November wünsche ich euch, zum Luftholen, und Stillwerden, zum Erinnern und Sortieren, ganz unaufgeregt, aber mit viel Wirkung.

3 Kommentare zu „Im Rhythmus“

    1. Danke für die lieben Worte.Wir sind Grenzgänger zwischen evangelischer und katholischer Kirche.
      Und Grenzgänger auf unserem gemeinsamen Weg zum Ewigkeitssonntag.Mein Lieblingssonntag.Ich weiß,wohin ich gehe.
      Maria

  1. Pingback: Ich… | Die Smoorbaers

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