Kontrollverlust für Anfänger

Die Sache läuft! Pünktlich nach Ablauf der ersten Fastenwoche kann ich voller Stolz verkünden: ich faste, was das Zeug hält! Letzte Woche formulierte ich nicht nur für mich mein persönliches Fastenziel (getippt ist ja Vieles sehr schnell….und nicht nur Papier ist geduldig), nein, ich grübelte auch insgeheim darüber nach, wie ich das denn nun anstellen wolle, das Loslassen und Lockerwerden, das Entspannen und weniger Heißlaufen. Dafür gibt es ja keine Betriebsanleitung oder genaue Vorgaben. Ich kann auch nicht einfach irgendetwas weglassen, wie Zucker, Fernsehen oder Internet, was immerhin eine klare Vorgabe wäre, so schwer es dann auch fallen mag.

Ich hätte mir das Grübeln sparen können. Am Freitag fühlte ich mich schon nicht wohl, am Samstagmorgen ereilte mich der knockout. Mit schmerzenden Gliedern verzog ich mich unwillig auf die Couch und konnte direkt mit der Fasterei beginnen. Auf der „Dinge, die auf jeden Fall erledigt werden müssen“-Liste standen ungefähr 53,5 Dringlichkeiten. Seufzend verabschiedete ich innerlich die Liste. Und blieb zwei Tage, wo ich war. Man brachte mir heißen Tee, erneuerte die Wärmflasche in regelmäßigen Abständen, deckte mich mit Kuscheldecken zu, als müsste ich am Nordpol campieren und versüßte mir das Leben mit Selbstgemaltem. Ich übte mich darin, die Klappe zu halten und nicht all zu viele Anweisungen  in Richtung Gatten zu schicken. Der Gatte studierte den Essensplan (ausgerechnet in dieser Woche hatte ich es für eine ausgesprochen gute Idee gehalten, mal etwas Abwechslung in unseren Speiseplan zu bringen), dann machte er sich zu einer Supermarktexpedition auf. Mir schwante Böses, aber ich fastete tapfer weiter.P1060022

Meine Zwillinge fasten ja nicht und boten direkt Einkaufshilfe an. Auch sie waren besorgt, weil der Papa sich da ja nicht auskennt. Mit drei Kindern als Unterstützung zog er ab und kam mit allem wieder, was wir brauchten. Zwischendurch hatten sie noch das Auto gewaschen. Das Fasten fiel mir schon ein bisschen leichter. Der Gatte fuhr unseren Großen zu seiner Kinoverabredung und begann dann in der Küche zu werkeln. Das Fasten fiel mir schon wieder ein bisschen schwerer. Anfangs lauschte ich noch angestrengt in Richtung Küche, dann dachte ich: was soll`s. Verhungern wird hier keiner. Anstatt mich weiter zu grämen, lag ich ganz still und hörte mit meinem Zweitklässler die Übertragung des Bayernspiels. Ich habe mir noch nie ein ganzes Fußballspiel angehört, warum auch?

Aber mein Junge saß da und litt und freute sich, angespannt, wie ein Flitzebogen. Vor sich auf dem Sofa hatte er das Aldi-Bundesligaalbum, um alle Spieler nachzuschlagen. Ich beobachtete ihn, und war froh, diesen Moment mit ihm teilen zu dürfen. Ganz ehrlich: auf die Idee wäre ich sonst nie gekommen. So hatten wir beide etwas vom Fasten. Zum Abendessen gab es Quiche Lorraine mit Salat nach Miris Rezept und sie ist dem Gatten ganz wunderbar gelungen. Ich wurde immer besser im Fasten und am Sonntag war ich fast schon entspannt (abgesehen von den schmerzenden Gliedern natürlich). Der Gatte übte Diktat und buk Schafskäseschiffchen, die wirklich ganz unglaublich lecker waren. Ich ging um 19.30 Uhr ins Bett und war sehr zufrieden mit mir. Und sehr dankbar für den Gatten.

Am Montag durfte ich mich vom vielen Fasten ein wenig erholen. Am Dienstag ging es in die nächste Runde. Früh am Morgen fuhren wir mit unserem großen Mädchen in die Stadt. Während der Gatte uns durch den Berufsverkehr manövrierte und sie aufgeregt auf der Rückbank saß, wurde mir das Herz schwer. Vor meinem Auge hatte ich plötzlich das Bild des winzigen Säuglings, den ich damals aus der Klinik tragen durfte. Mit kleinen, schwarzen Püschelchen auf den Ohren und zerknautschter Nase. Und nun fahren wir zur Schulanmeldung in die große Stadt. In wenigen Monaten wird sie die Strecke alleine mit dem Zug bewältigen müssen, Menschen kennenlernen, die ich nicht kenne, durch die Stadt laufen und sich Herausforderungen stellen müssen, ohne dass ihre Mama nur fünf Minuten entfernt ist. Sie wird das ganz großartig machen und ich weiß das. Aber das Loslassen fällt schwer. Wenn das mal keine Fastenübung ist. Das alte Schulgebäude aus rotem Sandstein ist ehrfurchtgebietend, schon Zuckmayer ging als Junge über die ausgetreten Steinstufen. Das Aufnahmegespräch meisterte unser Mädchen souverän. Ihre wunderbare Gesprächspartnerin hieß sie aufs herzlichste Willkommen. Auf dem Flur trafen wir einen Klassenkameraden von ihr. Sie muss hier gar nicht alleine anfangen, sie wird ein vertrautes Gesicht in der Klasse haben. Und ihr großer Bruder ist schließlich auch noch da. Lass los, Mama, und sorge dich nicht!

Weil mein Mädchen das so locker geschafft hat und ich gerade so unglaublich tapfer am Fasten bin, gingen wir  hinterher erstmal frühstücken. Und dann in die Buchhandlung. Wo wir schon mal in der Stadt waren. Und ich jetzt dringend eine Belohnung brauchte. Im Rausgehen fiel sie mir ins Auge: eine winzige Schneekugel. Ein kleiner Engel steht darin. „Sei behütet“ kann man auf ihrem Fuß lesen. Und weil ich weiß, dass diese Winzigkeiten exakt und haargenau die Liebessprache meiner Tochter treffen, kaufte ich sie ihr. Freute mich an ihrer Freude und an der Gewissheit: sie wird behütet sein. Ich darf loslassen und lockerlassen, und ein ganz klein wenig die Kontrolle verlieren. Ist ja erstmal für Anfänger. Und die erste Woche.

2 Kommentare zu „Kontrollverlust für Anfänger“

  1. Als Mama von schon großen Mädels hab ich trotzdem erstmal ein paar Tränen verdrückt beim Lesen. Das mit dem Loslassen hört ja nie auf.

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