Sekunden und Stunden

Zu meinem Geburtstag hat der Gatte mir ein wunderbares Geschenk gemacht und mir damit einen riesigen Wunsch erfüllt. Er schenkte mir eine Armbanduhr, genau so wie ich sie mir erhofft hatte. Die Uhr ist toll. Sie sieht nicht nur, nach meinem Geschmacksempfinden, sehr schön aus und hübscht damit dekorativ mein Handgelenk auf, nein, sie kann mir auch ganz präzise sagen, wieviel Uhr wir gerade haben. Auf die Minute genau sogar. Sonst kann diese Uhr rein gar nichts. Herrlich. Sie misst nicht meinen Puls, informiert mich nicht über meinen Kalorienverbrauch, Blutdruck und Herzschlag, über zu wenig Bewegung oder mangelnde Tiefschlafphasen. Sie zählt nicht meine Schritte und konfrontiert mich nicht mit meinem Körperfettanteil. Sie will nicht mit mir sprechen und mich auch nicht dazu bringen mit anderen zu sprechen. Sie empfängt und verschickt keine Nachrichten oder e-mails, verbindet mich mit keinen sozialen Netzwerken, will mich weder optimieren noch manipulieren und sie nötigt mich auch nicht, irgendwelche apps  mit ihr zu besuchen oder gar meine Kinder per modischer Fußfessel rund um die Uhr zu überwachen. Sie ist was sie ist- eine ganz simple Armbanduhr. Ich liebte sie von dem Moment an, als sie aus ihrer Geschenkpapierumhüllung in meine Hände fiel.

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Seit Jahren war ich nicht mehr Besitzerin einer schlichten Armbanduhr, genau seit dem Zeitpunkt, als meine alte Armbanduhr das Zeitliche segnete und ich nur noch Handy bzw Smartphonebesitzerin war. Und ich dachte eine lange Weile lang, dass dies genug Besitz ist, um die Minuten und Stunden des Tages im  Blick zu haben. Deswegen hat man das flache Dingelchen ja auch überall dabei.

Kurz aus der Tasche gefingert und schon bist du im Bilde. Über die Uhrzeit. Und das Wetter. Die letzten fünf eingegangen e-mails. Ach- und das whats app Zeichen blinkt ganz hektisch, da schau ich nur mal schnell. Und natürlich kann man auch angerufen werden, das auch- vor allem im Notfall. Eigentlich wolltest du nur kurz wissen, wieviel Uhr es ist und schon erliegst du der Versuchung, den kurzen Rundumblick über das Weltgeschehen zu werfen. In kürzester Zeit bist du sehr viel schlauer, denn du weißt nun, dass an dem Ort an dem du gerade stehst, die Sonne scheint, dass B. Halsschmerzen hat und heute leider nicht zum Fußballtraining kommen wird, dass die Kinder von S., die du gar nicht persönlich kennst, weil sie am anderen Ende der Republik wohnt und du ihr Gesicht nur auf einem Instaprofil gesichtet hat, also deren Kinder fahren just in diesem Moment friedlich Bobbycar, man kann das auf dem Minifilmchen sehr gut erkennen. Deine eigenen Kinder schaukeln gerade, du kannst es sehen, wenn du nur den Blick von diesem blöden kleinen Bildschirm hebst. Vielleicht sollte man schnell ein Foto machen? Ist doch ganz zauberhaft, wie die da so schaukeln. Hashtag „livingwithkids“ oder „slowfamily“ oh, oder „enjoythemoment“.

 

Ich habe eine äußerst dezidierte Meinung zu dem ganzen Smartphonegedöns, zu Instagram und Facebook, zu Medienkonsum im Allgemeinen und im Besonderen, zu Pinterest-Irrsinn und dem Leben durch den Sucher einer Handykamera. Ich habe aber auch eine sehr dezidierte Meinung, was den Verzehr von Toffifee- Packungen im Ganzen angeht, und trotzdem….mein Geist ist willig, aber das Fleisch…

ich kaufe in der Regel keine Toffifee- Packungen mehr. Und ich lass das blöde Smartphone immer häufiger zu Hause, oder lege es auf die Fensterbank im Klo. Da sieht es mich nicht und ich sehe es auch nicht.

Ich schwöre ihm nicht ab, nein, natürlich nicht. Aber ein Zuviel ist schnell erreicht. Zuviel unnötige Informationen, zu viele Bilder, zu viel Betrieb auf allen Kanälen. Und schon ist auf der Festplatte deines Hirns und noch viel wichtiger, deines Herzens kein Speicherplatz mehr frei, für das, was wirklich zählt.

 

Ich will aber wirklich im hier und jetzt leben. Langsamkeit und Achtsamkeit sind nicht nur Modewörter, die schnell geschrieben aber kaum umsetzbar sind. Ich will die ungeschönte Wirklichkeit meines Lebens selbst erleben und gestalteten, ganz ohne Filter und Ablenkung. Zeit mit meinen Kindern und meinem Mann verbringen, mich auf das, was ich tue einlassen und darin die Gnade Gottes erkennen. Und wenn wir schaukeln, dann schaukeln wir. Wenn wir lesen, dann lesen wir. Und wenn wir essen, dann essen wir. Menschen und Begegnungen. Wenn ich sie wirklich erfassen und erleben will, dann muss ich mich auch ganz darauf einlassen, ganz ohne elektronische Krücke. Sehen, hören, riechen, schmecken, aus. Den warmen Sommerabend, der Geruch von Brot im Ofen, zankende Kinder und ein kleines Mädchen, auf der Suche nach Streicheleinheiten, ein neu entdecktes Lied, die lustige Geschichte, die ein Elfjähriger zu erzählen weiß, pickende Spatzen auf unserem Gartentisch. Mehr Sommer wird nicht, nie war die Gelegenheit günstiger, der virtuellen Welt ein wenig den Rücken zuzukehren und „hallo Leben“ zu rufen.

Willst du das große Glück in den kleinen Dingen finden, dann musst du dir für die kleinen Dinge auch Zeit nehmen. Auch auf die Gefahr hin, dass der Rest der Welt von diesem unverschämt glücklichen kleinen Moment nichts erfahren wird. Deswegen trage ich jetzt wieder eine Armbanduhr, die mich nicht an meine Unzulänglichkeiten erinnert.  Es gibt weniger Notfälle, als man so glauben mag. Und wer das Fußballtraining einer F-Jugendmannschaft an einem Mittwochabend besucht, ist völlig wurscht. Wenn du wissen willst, wie das Wetter ist, dann streck den Kopf zum Fenster raus. Da drüben wird eine Schaukel frei- da setzte ich mich gleich mal selber drauf.

6 Kommentare zu „Sekunden und Stunden“

  1. Christiane Klein

    Irgendwie hast du ja recht, aber……. ohne dieses kleine flache Ding in meiner Hand würde ich deine tollen Blogeinträge verpassen. 🙂

    1. Geht mir auch so… 😉

      Mehr sich auf das wichtige im leben konzentrieren … Da ich auch gerade Geburtstag hatte finde ich deinen Beitrag sehr passend. Dann werde ich meine Uhr suchen und das Telefon zur Seite legen…. Dieses Jahr unter das Wort „einfach “ stellen. Danke dir !!!!!

  2. Wunderbar! Wie recht Du hast: Da will man nur kurz auf die Zeit schauen und schon verläuft man sich in der virtuellen Welt. Ich glaube ich sollte mir meine Armbanduhr auch mal wieder umbinden (hab sie seit Jahren nicht mehr gesehen, aber irgendwo muß die noch liegen). Segensgrüße!!!

  3. Liebe Sandra, wie wahr! Ich sehne mich auch gleich nach meiner alten Armbanduhr, denn ich empfinde das ganze Smartphone-Zeugs auch als zwar einerseits unterhaltsam, aber eben auch sehr stressig. Und die sozialen Medien geben mir immer wieder das Gefühl, mithalten zu müssen, wobei oder womit auch immer… Danke für deinen Text. Ich glaube, ich nehme die Uhr wirklich wieder hervor. Herzlichst Sonja

  4. Pingback: In the Bubble – himmlisch geerdet

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