Letzten Mittwoch, frühmorgens um 6.47 Uhr, stieg ich in unseren Vorratskeller hinunter um eine Flasche Saft für meinen kleinen Sohn hochzuholen, liebevolle Mutter, die ich nun mal bin. Zuvor hatte ich es schon geschafft das Bett zu verlassen, öffentlichkeitstaugliche Kleidung anzuziehen und meine beiden Großen nicht nur mit Frühstück zu versorgen sondern auch rechtzeitig auf ihren Schulweg zu schicken (Fahrradschlüssel nicht vergessen? Fahrkarte nicht vergessen? Pausenbrote nicht vergessen? Sportsachen? Halt! Stopp! Hier steht ja dein Rucksack noch!!! Guten Tag und seid behütete!) Jetzt also Saft, für den Knaben, der um 6.45 Uhr festgestellt hatte, das sein herkömmliches Frühstück an Mittwochen ungenießbar sei. Kaum hatte ich die Saftflasche in der Hand, da machtes es auch schon einen großen Schlag und wie aus dem Nichts sauste eine Bierflasche erst auf meinen Fuß und dann auf den Boden, wo sie klirrend zerbrach. Sie war voll, das versteht sich natürlich von selbst, und überall ergoss sich das Bier.
Mein erster Gedanke nach „Sch…“ war: „Hervorragend, dann wird das heute auch wieder so ein blöder Misttag!“ Ja wirklich, ich war mehr als bereit, morgens um 6.47Uhr den ganzen vor mir liegenden Tag in den Wind zu schieĂźen, eigentlich hatte ich die ganze Woche schon als hoffnungslos blöd abgeschrieben- nicht nur wegen einer Flasche Bier.
Denn es war nun mal so, dass sich dieses Missgeschick nahtlos einreihte in all die anderen Missgeschicke, Kompliziertheiten, emotionalen Achterbahnfahrten und nervenaufreibenden Alltagswidrigkeiten. Ließ sich die erste Woche nach den Ferien noch wie ein wohliges Schaumbad an, krachten wir mit Beginn der zweiten Woche mit lautem Knall und äußerst unsanft auf dem Boden der Realität.
Ich sah in diesen Tagen die schlafmĂĽden Augen meines groĂźen Mädchens, dass morgens um 6.00Uhr, noch vom Adrenanlin des Anfangs aufgepeitscht, aus dem Bett springt und am Abend keine Ruhe finden kann, weil so viele neue EindrĂĽcke und Herausforderungen auf sie einstĂĽrmen. Da waren verspätete ZĂĽge und solche, die ganz ausfielen, vergessene FahrradschlĂĽssel, ein kaputtes Auto, Trilliarden an Heften und Umschlägen und Hefter mit absonderlichen Lochungen, die besorgt werden sollten (aber bitte vorgestern, denn heute brauche ich es doch schon, ich hatte nur vergessen es dir zu sagen…und einen Zeichenblock Din A2, danke), das vergessene Einmaleins und Elternabende mit furchteinflößenden und ungemein ambitionierten Eltern, komplizierte mathematische Geschichten, jeden Tag Kopfrechnen und wirklich alle unregelmäßigen Verben, die Feststellung, dass bei diesen Mengen an Hausaufgaben ja fast gar nichts vom Tage ĂĽbrigbleibt und der darauffolgende Tränensee, eine kurzzeitig verlegte Trompete, stapelweise Elternbriefe, die alle abgezähltes Kleingeld in Umschlägen fordern und Versagensängste und Geburtstagseinladungen und jede Menge Aufregung, hochkochende Emotionen und ziemlich viel Wäsche …..wie gerne wĂĽrde ich sagen können, dass ich all diesem Irrsinn mit ruhiger Stimme, freundlicher Gelassenheit und liebevoll, ordnender Hand begegnet wäre. Souverän und jeder Zeit Herrin der Lage. Zumindest aber kann ich sagen, dass ich es versucht habe, ich war also stets bemĂĽht- es ist mir halt leider nicht ganz gelungen und an diesem Morgen, in diesem Keller und mit nackten FĂĽĂźen in einem Biersee stehend, tja da war mein Vorrat an Optimismus und zupackender Zuversicht schon mindestens 48 Stunden aufgebraucht. Blöde Mistwoche, alles fies, alles doof, ich mag nicht mehr, ich schmeiĂź hin, ich heule gleich selber, lasst mich doch alle in Ruhe!
Um 7.12 Uhr hatte ich mich wieder einigermaĂźen im Griff und vertagte das Aufwischen der Bierlache auf den späten Vormittag. Ich erklärte der Perfektionistin und dem Kontrollfreak, die eine einträchtige Wohngemeinschaft in meiner Seele pflegen, dass sie jetzt einfach mal fĂĽr eine Weile die Klappe halten sollten (ich erklärte es ihnen noch weitere 53 Male an diesem Tag und auch an allen folgenden. Der Gatte erklärte es ihnen unermĂĽdlich jeden Abend an die 74 Male. Anfangs meckerten sie empört zurĂĽck, aber langsam wird das Protestgeheule leiser). Danach begab ich mich auf die Suche nach den schönen Dingen, dieser Tage und dieser Woche. Ist ja auch Lebenszeit, so eine Mistwoche, so ganz wollte ich sie nun nicht abschreiben, nicht einfach in die sprichwörtliche „Tonne kloppen“. Und es fand sich tatsächlich so einiges zusammen. Ein Lächeln hier und ein gutes Wort da, eine Runde am Abend durch die Weinberge, blauer Himmel und ein freundlicher Anruf. Kleine Spuren AlltagsglĂĽck im groĂźen Durcheinander.
Am Freitagmorgen fuhr ich schließlich völlig übermüdet mit einer lieben Freundin in die Stadt, um mir eine neue Brille auszusuchen. Wir bummelten über den Marktplatz, plauderten über dieses und jenes und da war die Schönheit des Lebens und der Schöpfung in all ihrer Herrlichkeit! Farben, Vielfalt und Üppigkeiten im Schatten des Domes, soweit das Auge reichte. Mein Herz freute sich und mir kam allen Ernstes eine Sendung in den Sinn, die der Gatte und ich eine Weile gerne gesehen haben. Jamie Oliver kocht mit seinem besten Freund, hach ich höre doch das Englische so gern, und ein Teil der Sendung besteht darin, dass sie gegen die Verschwendung von Lebensmittel eintreten. Unmengen an krummen Karotten und schiefen Gurken und kleinwüchsigem Sellerie wird europaweit in die Tonne gekloppt, obwohl sie ansonsten tadellos sind. Absoluter Wahnsinn! Ich dachte daran, als ich durch die überquellenden Marktstände schlenderte, bunt und leuchtend.
Diese meine Tage sind wie eine Ansammlung krummer Karotten, schief und mit kleinen Auswüchsen nach rechts und links. Sie bestechen nicht durch Schönheit oder Makellosigkeit, aber sie sind intensiv, hochkonzentriertes, herausfordernd. Will ich sie wirklich wegschmeißen, verdrängen und gedanklich in die Tonne kloppen? Denn eigentlich gehören sie doch dazu, schmecken nach Leben, bergen durchaus Humoreskes, auf jeden Fall aber Stoff zum Wachsen und Entwickeln. Will ich wirklich Tage, gerade und absolut vorhersehbar, wie ein Beutel Supermarktkarotten, hübsch anzuschauen, aber irgendwie langweilig, und deutlich geschmacksärmer? Nein, will ich nicht. Nur manchmal. Ein Hoch den krummen Karotten!
Während ich wieder lerne, dass Krumme und Schiefe in unserem Leben zu bejahen, lichtet sich das Chaos ein wenig. Auch das letzte Heft ist angeschafft, ein paar neue Regeln haben den Weg in unser Haus gefunden (die Wichtigste zur Erleichterung aller: 18.30Uhr ist Feierabend für alle schulischen Belange, was dann nicht ist, wird auf morgen vertagt). Aber wir sind viele, es wird immer krumme Karottentage geben, dem Himmel sei Dank- schlussendlich.
Staunend sitze ich hier und stelle fest, dass ich nicht die Einzige bin, die mit der Kurx der zweiten Woche kämpft… Mit seitenweisen Vokabeln, die nicht in den Kopf wollen, stundenlangem Kopfrechnen, mit Tränen ĂĽber doofe neue Lehrer, mit absolut unnötigen Unfällen, mit den Schulmaterialien und dem Ăśberblick und vor allem mit Kindern, die zu motivieren und zu trösten sind. NatĂĽrlich nehmen die Tage abends kaum ein Ende. Die Woche läuft irgendwie doof… Eigentlich wĂĽnsche ich mir einfach mal ein paar harmonische Tage, an denen alle glĂĽcklich und zufrieden sind… Das sagt der Harmonie-Junkie in mir. Träum weiter… und du hast recht, wäre es so, wäre es vermutlich zu langweilig… Danke fĂĽr deine Worte. Sie tun grad gut. Und ich haue es jetzt in die Berge, auch wenn es nur fĂĽr zwei Stunden ist… Dir wĂĽnsche ich Gelassenheit und viele Blumen am Wegesrand… Und wer weiss, vielleicht wird die nächste Woche ja doch ein bisschen leichter?
Sula
Liebe Sandra! Ich fühle mich total in euer Familienleben hineingenommen und kann dir SOWAS von nachfühlen! Danke für deine schönen Gedanken über krumme Karotten und Wochen und Tage für die Tonnen. Vielleicht klebe ich mir das Bild der Karotten an den Kühlschrank. Herzlichst Sonja