Nachsätze statt Vorsätze

Vor 365 Tagen wäre es mir doch beinahe passiert, dass ich das neue Jahr ohne ein Jahresmotto, ein zu mir gehörendes Wort, ohne persönliche Losung begonnen hätte. Gott sei Dank haben mich die einschlägigen Social Media Kanäle gerade noch rechtzeitig an meine mangelhafte Neujahresvorbereitung erinnert. Und weil ich ja gerne immer alles richtig mache, nahm ich schleunigst die Beine in die Hand, drehte eine ausgedehnte Runde durch die heimischen Weinberge im kalten Nebel und horchte angestrengt in mich hinein. Irgendwo da musste es doch auf mich warten, mein Wort, meine persönliche Zusage, meine ultimative Jahresweisung?! Nach eineinhalb Stunden kehrte ich gut durchgelüftet nach Hause zurück und war mir sicher: ich hatte mein Wort gefunden. Puh, gerade noch rechtzeitig.

365 Tage später sitze ich hier. Mit meinem vollgeschriebenen, knickohrigen Kalender, der nun schon ein Jahr alt ist. Mit meinem neuen Kalender, blütenweiß und unberührt. Mit meinem alten Wort. Ich blättere durch die Seiten, die nun ein weiteres Stück meiner Vergangenheit dokumentieren, all die Stunden und Tage des letzten Jahres, die leichten und die schweren und denke: „So ein Mist. Da bin ich nicht nur weiterhin fünf Kilo zu schwer, nein, ich  habe ich mich auch eindeutig zu wenig gefreut.“

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Denn nun kann ich es dir ja verraten! Das Wort, das ich aus den Untiefen meines Hirnes herausgelaufen hatte war: Freude.  Eigentlich kein schlechtes Wort, wirklich nicht. Man stelle sich nur vor, es wäre „Saftdiät“ oder „Disziplin“ gewesen. Ich hatte also Glück, keine Frage. Blöd ist nur, dass  es  gar kein Jahr zum Freuen war. Es war ein schwieriges Jahr, „Innen rum“, meine ich, weniger „Außen rum“. Ein Jahr der Neuorientierung und Suche, voller Fragen und manchem Zweifel. Ein Jahr, mit 1000 guten Gründen, um dankbar zu sein, aber etwas kompliziert und schwierig, seiner Wesensart nach. Gefreut habe ich mich nicht all zu oft, eher gefürchtet, viel nachgedacht, hin und wieder gezweifelt, oft leise „danke“ geseufzt, aber häufig eben auch „ach, bitte…“ Das mit dem Freuen ist mir jedenfalls nicht gelungen. Jetzt bin ich ein klitzekleines bisschen beleidigt. Und auch frustriert. Wieder so ein Neujahrsvorsatz, der dich am Ende des Jahres daran erinnert, dass du ein kleiner Versager bist (nur an der Vorsatzliste gemessen natürlich, sonst ist alles in Ordnung). Ich könnte jetzt ohne zu Zögern alle meine guten Vorsätze vom zu Ende gehenden Jahr auf die „Gute-Vorsätze-Liste“ vom neuen Jahr schreiben. Vielleicht das Wort Freude als Überschrift wählen. Und einfach von vorne beginnen. Weder bin ich in den vergangen 12 Monaten wesentlich leichter, noch freundlicher und geduldiger geworden. Zu wenig gefreut, zu wenig Ordnung gehalten, kein Buch geschrieben und keine Lösung für das Sockenproblem gefunden. Dafür zu viel gefürchtet, zu viel gebrüllt (leider), zu viel vergessen und zu viel gezaudert. Ich bin in ziemlich vielen Bereichen noch haargenau die selbe, die ich vor einem Jahr schon war.

Jetzt ist Schluss mit dem Quatsch! Für den Rest meines Lebens streiche ich die guten Vorsätze für ein neues Jahr. Man sollte freundlich zu sich sein und nicht garstig. Keine eingebaute Jahresendfrustration mehr, bei aller und sonst auch sehr ausgeprägten Liebe zu Listen. Ich streich die Vorsätze und gönne mir ein paar Nachsätze. Ich habe in diesem Jahr, wie im Übrigen in jedem, nämlich mein Bestes gegeben, das rausgeholt, was die Umstände hergaben und das war gar nicht wenig. In vielen Bereichen habe ich mich verändert, ganz leise und schleichend, bin ich nicht haargenau dieselbe, die ich vor einem Jahr schon war. Ich habe neues gewagt und ausprobiert. Mir ist manche Dummheit passiert und ich bin dadurch wieder ein Stückchen klüger geworden. Ist es nicht viel sinnvoller, das alte Jahr mit freundlichem Blick zu betrachten und dann zu überlegen, was du mit hinübernehmen willst, in die nächste Runde? Nach 365 gelebten Tagen hast du doch bestimmt ganz schön viel auf der Habenseite, die buchst du einfach mit hinüber, nicht ohne dir vorher kräftig auf die Schulter zu klopfen, für alles, was du erreicht hast, für jeden Erkenntnisgewinn, für deine persönlichen Superheldenmomente. Und dann gibst du einfach wieder dein Bestes, jeden Tag aufs Neue. Was ich behalten möchte, fragst du?

Ach, wo ich so hier sitze und er so vor mir liegt….meinen Kalender, auf jeden Fall. Eine liebe Freundin hat mir eine feine Filzhülle genäht und die kommt einfach um die neue Ausgabe drumherum. Komplett handgeschrieben, Jahresübersicht, Monats, Wochen und Tagesübersicht. Zum ersten Mal war ich rundum zufrieden, mit der familiären Schaltzentrale.

Ich durfte mehr schreiben, in diesem Jahr, es macht mir so viel Freude! Ja, das werde ich definitiv mitnehmen und wer weiß, vielleicht wird das Pflänzchen wachsen?

Viele neue Freundschaften durfte ich schließen, teils auf ungewöhnlichen Wegen, und ich bin so froh und dankbar darüber. Die dürfen auf jeden Fall bleiben und gerne Wurzeln schlagen.

Gottvertrauen, auch wenn die Wege ins Ungewisse führen, kann ich noch nicht so gut, aber ich lerne es immer mehr. Er weiß ja wohl, dass ich ein Kontrollfreak bin und strapaziert mich nicht über Gebühr….

Wir haben Duschgel und Shampoo- Flaschen verbannt, nutzen tolle Körperseifen und ich darf die Umwelt auch in kleinen, familienkompatiblen Schritten besser machen.

Das Sporttreiben hat ganz hervorragend geklappt, in diesem Jahr, dafür muss ich mich tatsächlich mal loben. Liebe Frau 7geisslein, Hammer! Weiter so!

Zu Weihnachten gab es für unsere Zwillinge eine große Kiste Kappla Steine. Schlichte Bauklötzchen, die sich zu den verrücktesten Bauwerken auftürmen lassen, wahlweise aber auch SEK Einsatzzentrale, Kuhstall oder Zoo sein können. Die Dinger halten alle Altersklassen in unserem Hause seit einer Woche beschäftigt. Und sie fassen hervorragend zusammen, was vielleicht die wichtigste persönliche Erkenntnis in diesem Jahr war. In der Einfachheit liegt die wahre Größe. Das muss wahrlich nicht für alle Menschen gelten, aber für mich, für unsere Familie ist es die Lebensregel, die alles zusammenhält. Einander hören und sehen, die Sinne nutzen, aber nicht überdrehen lassen, weniger statt mehr. Gemeinsames Essen, der Duft eines Brotes, eine Umarmung, ein gutes Wort. In einem Dschungel aus Angeboten, Möglichkeiten und Wahrheiten, die Essenz herauszufiltern, den Menschen über die Dinge zu setzen, zu dem zu stehen, was uns wichtig ist, und was uns ausmacht. Das ist ganz schön herausfordernd, aber eben auch sehr befreiend. Ich nehme es als Wegweiser und gehe gerne in dieser Richtung weiter,  manchmal tastend und suchend, aber eigentlich ganz zuversichtlich.

Ich werde mir noch ein paar Nachsätze zusammensammeln, hier für mich, ganz allein, damit werde ich noch ein Weilchen beschäftigt sein. Und dann gehe ich mit einem Koffer voll Nachsätzen, ganz ohne Wort, ganz ohne Vorsätze. Und vielleicht magst du dir ja auch welche suchen, um gut gerüstet ins neue Jahr zu starten. Ich wünsche dir alles Gute dabei und reichen Segen, natürlich!

 

3 Kommentare zu „Nachsätze statt Vorsätze“

  1. Ein frohes neues Jahr, liebe Sandra!
    Danke, dass du deine Gedanken mit uns teilst!
    Sie berühren, ermutigen und regen zum Nachdenken an!Bitte mach auch weiter so!

  2. ganz wunderbar geschrieben, geht mir, obwohl in anderer Situation als du, genaus so, könnte hinter fast jeden Satz ein „So sei es“ und/oder „Amen“ setzen. Vielen Dank für Teilen dieser Gedanken und ein tolles neues Jahr wünsch ich!

  3. Pingback: Jahreswechsel-Allerlei – mehrfamilienblog

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