„Nichts ist so erlabend, wie ein Elternabend…“ Immer, wirklich immer, wenn ein Elternbrief aus der Schule mich zum Besuch derselbigen auffordert, singen diese Zeilen aus einem alten Reinhard May Lied unvermittelt in meinem Kopf los. Ein paar Mal im Jahr flattern diese Einladungen ins Haus- Aufforderungen zur Reise in eine fremde, ferne Welt. Trage ich die Termine für Elternabende, Elternsprechtage und Elterninfoveranstaltungen in den Kalender ein, dann überläuft mich immer ein kleiner Schauer des Gruselns, etwas Aufregung gepaart mit skeptischer Neugier. So geht es mir nämlich mit Reisen in fremde Welten, schließlich weiß man nicht genau was einen erwarten wird, werden die Einheimischen freundlich gesinnt sein, muss man mit Angriffen aus dem Hinterhalt rechnen, werde ich mich überhaupt zurecht finden?
Jede Schule ist ein eigener, kleiner Mikrokosmos, eine eigene kleine Welt, die nach ganz eigenen Spielregeln funktioniert, ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, in ihrem ganz eigenem Rhythmus atmet und arbeitet. So habe ich es selbst als Schülerin erlebt, als Schulseelsorgerin erfahren und so empfinde ich es heute, als Mutter von immerhin drei schulpflichtigen Kindern. Lebst du nicht selbst in diesem Mikrokosmos, dann bleibt dir nichts anderes übrig, als ihn von Ferne zu beäugen, seine Strahlkraft auf die Außenwelt ist schließlich enorm. Und dir bleibt nichts anderes übrig, als deine Kinder voll Vertrauen jeden Morgen neu auf die Reise zu schicken, auf das sie heil und gut zurückkehren. Informationen über das Innenleben dieser fernen Welt bekommst du allerdings in der Regel nur aus zweiter Hand und man kann diesen Einschätzungen nicht unhinterfragt Glauben schenken, sind sie doch zumeist äußerst subjektiv und situationsabhängig geprägt…
Kreist der Planet „Grundschule“ noch in sichtbarer Nähe auf der Umlaufbahn des Planeten „Familie“, so eiert der Planet „Weiterführende Schule“ schon deutlich weiter entfernt in den kosmischen Sphären, mal mehr, mal weniger gut zu erkennen, je nach Wetterlage. Denn natürlich ist auch jede Familie nichts anderes, als ein ganz eigener kleiner Mikrokosmos, eine eigene kleine Welt, die nach ganz eigenen Spielregeln funktioniert, ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, in ihrem eigenen Rhythmus atmet und arbeitet, für Außenstehende manchmal schwer zu begreifen.
Kinder sind fantastische Raumfahrer, sie reisen zwischen diesen beiden Welten täglich hin und her, passen sich den jeweiligen Lebensbedingungen mit ganz erstaunlicher Flexibilität an und kehren mit Botschaften aus der Ferne wieder heim. Man muss sie dafür wirklich bewundern. Und manches Mal denkt die engagierte Löwenmutter: „Was ist das nur für eine verrückte, ferne Welt, die haben doch überhaupt gar keine Ahnung von unserem Universum, wie dieses Menschlein auf unserem kleinen Familienplaneten lebt und tickt und atmet, wie er ist und was ihn ausmacht.“ Und sie versucht sich diese Schulwelt vorzustellen, rekonstruiert Zusammenhänge, ahnt Charaktere und vermutet bestimmte Abläufe. Sie kann es nicht, lassen, denn die Großwetterlage des einen Planeten bestimmt maßgeblich die Wetterlage des anderen. So gesehen, kommen Einladungen in fremde Welten ganz recht. So gesehen sind Elternsprechtage nichts anderes als Forschungsreisen für Außenstehende mit diplomatischem Hintergrund und Auftrag, so gesehen dienen sie der Kulturvermittlung und erlauben wenigstens einen kurzen Einblick in andere Sitten und Gebräuche.
Am Freitagnachmittag unternahmen der Gatte und ich einen Flug ins All. Wir landeten sicher und kamen in Frieden. Wir stiegen die alten, ehrwürdigen und ausgelatschten Steinstufen hinauf und wurden eingesogen in diese fremde Welt, die trotz Beamer und Whiteboard immer noch so riecht, wie die Welten meiner Kindheit, nach Menschen und Kreidestaub, nach Käsefüßen und Kantinenessen. Zwei unserer Kinder besuchen diese Schule, eines schon das dritte Jahr, das andere erst seit wenigen Monaten. Wir wollten wissen, wie sie leben, in dieser für uns so fremden Welt, wie es ihnen ergeht, wie sie zurecht kommen und mit wem sie es da jeden Tag zu tun haben.
Und wir waren auf Vermittlung eingestellt, darauf, zu erklären, wie diese Menschlein auf unserem Planeten so leben, irgendwie dachte ich, ich müsste erklären, wer unsere Kinder sind. Ich hatte ganz vergessen, dass nur ich in dieser Welt nicht zuhause bin. Unsere Kinder dagegen sehr wohl. Die leben nämlich hier einen guten Teil des Tages, werden gekannt und auch erkannt, mit allem, was so zu ihnen gehört. Nach eineinhalb Stunden machten wir uns wieder auf den Rückflug und saßen für den Moment etwas erschlagen im Auto. Wir waren auf junge Lehrerinnen mit Durchblick getroffen, hatten ein paar unserer Vorurteile rasch hinter die nächste Hecke gekickt, waren über ein paar alte Probleme gestolpert, sahen unseren eigenen Planeten plötzlich in einem anderem Licht. Wir vermittelten und bekamen vermittelt.
Manchmal ist es fast schon zwingend notwendig, einen anderen Planeten zu bereisen, um den eigenen wieder richtig sehen zu können, aus der Betriebsblindheit auszubrechen, um alte Dinge neu zu betrachten. Wir alle leben in unseren eigenen Welten, Familienwelten, Schulwelten und Arbeitswelten, Glaubenswelten und Heimatwelten. Wir sollten nur nie vergessen, dass unsere nicht die einzigen sind. Das wir nicht das Maß aller Dinge sind, sich auch in anderen Welten Wahrheit verbirgt. Und wir sollten immer fröhlich reisen- von einem Planteten zum anderen, immer bereit zum Kennenlernen, zum Perspektivwechsel, zur Neugier. Denn „nichts ist so erlabend…“ , nichts erweitert mehr den Horizont, nichts bereichert dich mehr! Gute Reise dir!