Ein wirres Knäuel

Stell dir mal vor, wir würden uns treffen, wir zwei beide, vielleicht auf dem Parkplatz vor Aldi, gleich da, wo die Einkaufswagen stehen oder auf dem holprigen Stück Weg durchs Ried, ich laufe dieser Tage sehr viel. Ach, was würde ich mich freuen, dich zu sehen, und wir würden ein Weilchen beieinander stehen bleiben, für ein freundliches Hallo und eine kleine Plauderei.

Weil du so ein netter Mensch bist und auch ein klitzekleines bisschen neugierig, würdest du mich fragen: „Und bei euch? Wie läuft es, alles klar?“ Dann würde ich erst kurz Luftholen und dann Ausholen, du Ärmste, hättest du doch besser nicht gefragt, aber da würde ich  schon erzählen. „Danke, der Nachfrage, die Kinder sind wieder hergestellt, jaja, aber vor zwei Wochen wurde nachts unser Auto ausgeräumt, ja blöd, war irgendwie mein eigener Fehler, ich hatte nicht abgeschlossen und das Portmonee lag auch noch drin, mit Geld, mmm. Und zwei Tage später wurde der Gatte vom Auto angefahren, aber dem Arm geht es wieder besser und der Hüfte auch.

Ja, doch, das war nach der Nacht, als die Katze auf der Suche nach Leckerchen war und in den Küchenschrank einbrach und mit dem Schwanz meine liebste Teetasse herunterstieß, die in tausend blaugeblümte Bunzlauscherben zerbrach.“

Ich sehe schon, langsam scharrst du etwas mit dem Fuß, du fängst schon ungläubig an zu lachen, „Na bei euch ist was los.“ „Ja, ja würde ich sage, aber warte ab. Vorgestern ging aus heiterem Himmel das Auto kaputt und zwar gründlich und ohne Vorwarnung. Wir brauchten einen Abschleppdienst, was für ein Durcheinander. Jetzt brauchen wir natürlich ein neues Auto, eigentlich wollten wir erst im Herbst… und der Gatte ist auch schon fündig geworden, allerdings 100 km weiter. Und da ist er hingereist mit unserem neunundachtzigjährigen Opa und unserem zwölfjährigen Sohn, dem Himmel sei Dank für diesen Opa, der uns dafür sein Auto bereitstellte. Auf dem Heimweg hat er allerdings die Vorfahrt übersehen und es gab einen Auffahrunfall. Und beim Ausräumen des alten Autos, das nur noch zum Ausschlachten taugt, tja alle Jacken und Kissen und CDs mussten natürlich zu Fuß nach Hause getragen werden, und Kindersitze und…da hat sich unser Großer leider fies das Knie verdreht, er ist halt im Wachstum. Während dessen fiel zu Hause meine neue Kaffeetasse aus dem Schrank, der Gatte hatte mir eine kleine Osterfreude gemacht und ja klar, tausend grünkarierte Scherben. Ist nicht so schlimm, denn unfassbarer Weise hat die Kaffeemaschine in diesem Augenblick ihren Geist aufgegeben und machte noch nicht mal mehr sprotz. Ich hatte kurz zuvor telefoniert und beim ersten Anruf ein Geburtstagskind an der Strippe, von dessen Geburtstag ich gar nichts wusste, peinlich, peinlich und danach einen mir lieben Menschen auf dem Weg in die Klinik, mit starken Schmerzen und…tja, so ist es gerade bei uns. In einer Woche ist Erstkommunion, ja darauf freuen wir uns, falls wir bis dahin noch Geschirr im Schrank haben, und nicht hinlaufen müssen, es ist etwas weit, wer weiß…“

Entgeistert würdest du mich anstarren und dann würden wir beide herzlich lachen, denn mal ehrlich, was will man im Angesicht von solch einem Kuddelmuddel auch anderes machen? Du würdest mir von Herzen alles Gute wünschen und wahrscheinlich etwas erleichtert deiner Wege gehen, „Liebe Güte, die Welt ist ein Irrenhaus“, würdest du denken, während ich dir fröhlich hinterherwinke.

Gestern am Abend, als ich schon einige Male herzlich gelacht und auch ein wenig geweint hatte, sagte ich zum Gatte:“ Genauso ist es, wenn ich stricke. Und ich stricke wirklich gerne, denn es beruhigt mein aufgebrachtes Gemüt. Egal was ich stricke, irgendwann verheddert die Wolle. Immer ist da irgendwann ein wirrer Klumpen Garn, der mühselig entwirrt werden will. Wenn ich Glück habe, machst das du. Wenn nicht, mach ich es halt selber. Aber früher oder später ist da immer ein aufgelöstes Knäuel. Erstaunlich, dass da überhaupt was vernünftiges bei rum kommt. Ich weiß! Ich weiß genau, es gibt Menschen, die haben ihr Knäuel im Griff, die bekommen ein Strickstück hin, ohne ein großes Chaos anzurichten. Tuppermenschen, die für jede Lebenssituation ein passendes Döschen zur Hand haben. Leute, die bei Regen immer einen Schirm in der Tasche haben, obwohl der Himmel gerade noch blau war. Mit Ordnung im Geschirrschrank und im stets abgeschlossenen Auto.“ Der Gatte hörte sich geduldig meine Ausführungen an und stellte nüchtern fest: „So sind wir nicht. Und so werden wir auch nie sein. Das, meine Liebe, ist das Leben. Und ich finde es ziemlich großartig.“

Stell dir mal vor, wir würden uns treffen, wir zwei beide. Ach, was würde ich mich freuen…und dann würdest du mich fragen, denn du bist ein wirklich netter Mensch…und dann würde ich dir erzählen: „Ich bin ein bisschen traurig, denn das Auto ist kaputt. Ich hing so daran, denn es zeigte, wie wir sind. Improvisationstalente, genügsam, etwas wirr, aber zuverlässig, hin und wieder erstaunlich mutig. Es hat sieben Leute gefahren und sehr viel Gepäck. Es wart immer ein wenig zu klein und hat doch gereicht. Nie hat einer geglaubt, dass das funktionieren könnte. Es hat uns gefahren, bis in den Süden Italien und durchs wunderschöne Schweden, durch den bunten Alltag mit all seinen Macken. Jetzt ist es weg. Aber es war nur ein Auto. Aber wir hatten unglaublich viel Hilfsangebote in den letzten Tagen. Aber wir bleiben, wie wir sind und das ist immer genug.“

Und wenn du nun deiner Wege gehst, genauso, wie du bist, dann wünsche ich dir von Herzen alles Gute!

10 Kommentare zu „Ein wirres Knäuel“

  1. Ach. Alles wird gut! Das habe ich in einem Andachtsbuch erst gelesen… Und ich finde eure Familie einfach grossartig! Alles Liebe!!!

  2. Annette Schubert

    Liebe Sandra,
    auch ich kenne solche Situationen in denen msn denkt man dreht bald durch, aber mit so einer tollen Familie an der Seite steht man es durch und irgendwann kann man sogar darüber lachen.
    Und auch mein Mann ist Experte in Wolle entwirren, sowohl bildlich wie auch in Wirklichkeit, und genau das macht das Leben doch aus, gemeinsam “Wolle zu entwirren“und dann entsteht doch daraus so ein toller Lieblingspullover wie für deinen Sohn oder eine bezaubernde Jacke für deine Große.
    Leben ist halt manchmal Chaos aber du würdest auch nicht so einen tollen Block schreiben, wenn du ein Tupperdosenmensch wärst.
    Bitte bleib so, denn es ist so schön von dir zu lesen. Es ist lebendig, ehrlich, erfrischend und beruhigend ( das es nicht nur mir so ging) . DANKE
    Liebe Grüße Annette

    1. Liebe Anette, vielen Dank für deine netten Worte. Und du hast recht, gemeinsam Wolle entwirren ist ein ganz wunderbares Bild für Familie! Sei ganz lieb gegrüßt
      von Sandra

  3. Ach… was ist bei euch los…!? Puh! Ich wünsche euch ganz viele Geschenke von oben, und dass ihr alle die Erstkommunion in vollen Zügen genießen könnt (äh – aber Fahrt im Auto – nicht im vollen Zug, schon gar nicht in mehreren)! Ich finde es toll, dass du so viel Humor und fröhlichkeit in dem allen hast. Ein paar Tränen sind allzu verständlich. Und die Freude und das bunte Leben bei euch strahlt durch die Photos hindurch. Danke, dass du auch von dem (etwas zu vielen) anderen berichtest! Also so aus meiner Warte des Lebens empfinde ich da sehr viel Organisationstalent und Schaffenskraft und Sinn für Schönes, wenn ich lese und schaue 🙂 Da könnte ich mir ein paar Scheiben von abschneiden. Auch ganz ohne Tupper!

  4. Liebe Sandra,
    ich kenne kaum jemanden, der so charmant von Kuddelmuddel erzählen kann wie du – und das liegt nicht nur daran dass ich Berliner Wurzeln habe, die Erinnerungen daran haben, dass man die perfekteste Aktion gerademal mit einem „da kann man nich meckern“ zu loben hat – du machst das wunderbar und das tut sehr gut. danke für deine Lektion in Sachen Überlebenstipps für s Familienleben à la „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“!
    Jetzt wünsche und erbitte ich euch, dass sich bald alles zum Besten fügt, und wenn ich nicht hunderte Kilometer nördlich von euch wohnen würde, dann würde ich dir jetzt gerne sagen, dass in unserem Carport ein oller VW-Bus steht, der uns Sieben sieben Jahre lang treu durchs Leben gefahren hat und nun eine neue Familie sucht. Er hat zwar einige ordentliche Schrammen und Beulen davon getragen, weil es genug Situationen gab, in denen ich in allem Kuddelmuddel etwas zu eilig mit dem letzten Restchen Nerven und Konzentration beim Ein- und Ausparken unterwegs war, aber er könnte sicher noch einige Zeit mit seinen inneren Qualitäten dienen. aber ob er schnell genug zur Verfügung wäre? Wir haben nämlich den neuen TÜV verschlafen, da gleichzeitig das neue Auto da war… Wie dem auch so, Gott segne euch, feiert schön!

  5. Ach du Liebe, jetzt hatte ich beim Lesen wirklich Pipi in den Augen, vielen Dank. Ich halte mir ja zu gute, dass mein Herz so gar nicht an Dingen hängt, aber eine Familienkutsche erzählt schon Geschichte. In wenigen Tagen werde ich nun auch das Busfahren lernen und bin schon sehr gespannt (ich schließe ja auch gerne Freundschaft mit Mauerpfosten und Laternenpfählen…) Viele liebe Grüße

  6. In Anbetracht eigener Wollkuddelmuddel musste ich lächeln und gleichzeitig seufzen. Ach, es ist wunderbar, dieses Leben, in dem wir hier so improvisiert herumstolpern. Ich schicke dir eine Umarmung! Martha

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