Jammertal und Juniglück

Es ist Juni. Nur für den Fall, dass du es noch nicht weißt. Ich für meinen Teil hätte es nämlich beinahe nicht mitbekommen. Neulich kam ich früh in unser Wohnzimmer und fand eine kleine Elendsgestalt auf unserem Sofa vor, die düster, mit gewitterumwölkten Augen, dem aufziehenden Tag entgegen blickte. Die Erde ist ein einzig Jammertal, daran war wohl nicht zu zweifeln, an diesem frühen Mittwochmorgen. Ich setzte mich ein wenig mit dazu, mitten hinein ins Jammertal und hörte mir an, was für ein denkbar unheilvoller Ort die Welt in diesen Stunden doch war, fies und ungerecht und ach, eben einfach blöd. Ich war geneigt zuzustimmen. Wenn du mich fragen würdest, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, dann würde ich sagen, dass ich schrecklich gerne wollen würde, dass das Glas halbvoll ist, aber dass es noch ein Weilchen dauern wird, bis ich mich dazu durchgerungen haben werde…

Ich weiß nicht genau, was los ist mit diesem Jahr, das so irrsinnig schnell an Fahrt aufgenommen hat, uns umherwirbelt, dass uns hören und sehen vergeht, alles auf den Kopf stellt und kaum Zeit zum Verschnaufen lässt. Jetzt gerade ist es wieder besonders wirbelig, verrückt und herausfordernd, für die, die die Beständigkeit lieben und Veränderungen erstmal skeptisch beäugen. Der Gatte hat eine neue Arbeitsstelle. Und wie es nun mal so ist, in Familiensystemen- wenn einer sich verändert, dann verändern sich alle mit. Und die Zeitplanungen. Und alle routinierten Abläufe. Aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, dass ja Juni ist. Und ich liebe den Juni. Der Juni ist der Optimist unter den Monaten, voller entspannter Verheißung, eine Einladung zum Loslassen, ein Blick in überbordende Fülle und Lebensfreude. Noch nicht so heiß, wie die echten Sommermonate, aber ein Vorgeschmack dessen, was kommen mag, voller Leichtigkeit und „fünfe gerade sein lassen“. Es gibt keinen besseren Monat, um ein wenig gewirbelt zu werden.

Im Juni stehen die Ferien schon in Sichtweite und winken mit großen, weißen Fahnen. Wenn es um Schulkram geht, dann denkst du nur noch: „Ach, jetzt ist es eh egal…nach dem Sommer werden wir wieder fleissiger, aufmerksamer und ordentlicher sein…!“ Die Kinder entspannen sichtlich und merklich und haben nur noch Sachen, wie Sporttag, Lateintag und Methodentag. Ich schätze mal, die Lehrerschaft plant Fleiß, Aufmerksamkeit und Ordnung auch erst nach den Ferien wieder ein. Der Vorteil am Juni ist, du hast die Kinder vormittags aus dem Haus und trotzdem keine nachmittägliche Hausaufgaben, Lern und Erschöpfungskrisen.

Im Juni blühen unsere Rosen in  verschwenderischen Fülle, der Lavendel schießt und der Kirschbaum hängt über und über voll mit roten Früchten. Das ist der Monat, in dem sogar unser kleines Gärtchen etwas paradiesisches hat und nicht leidet, unter meinem gänzlich fehlenden, gärtnerischen Talent. Ich sitze und staune und freue mich. Im Juni kannst ich nämlich draußen sitzen, auf meinem Bänkchen, dass ich so liebe. Es ist noch nicht zu heiß, schon gar nicht in den frühen Abendstunden.P1100732

Im Juni beginnt unsere Geburtstagssaison und unser großes Mädchen eröffnet den Reigen. Dann wird nicht nur gefeiert, dann wird auch gebastelt, als wäre es schon wieder Weihnachten. Denn all die kleinen Kostbarkeiten, die ihre Geschwister schenken wollen, müssen ja auch erst hergestellt werden. Aber man kann draußen basteln, am Gartentisch und dabei Sirupschorle trinken. Ihr großer Bruder kann und mag Basteleien nicht. Aber er ist aufmerksam gewesen und hat sich gemerkt, dass seine kleine Schwester hin und weg war, von kleinen, klebrigen, portugiesischen  Törtchen, die wir jüngst auf einem Grillfest kosten durften. Wir haben das Rezept bekommen und er hat gebacken. Der einzige Nachteil an diesem süßen Geschenk: alle wollten etwas abhaben und haben ihr den Genuss durch ausdauerndes Genöle etwas vergällt.

Im Juni bin ich eine supercoole, entspannte Mama und erlaube deshalb eine Geburtstagsübernachtungsparty mit acht Mädchen. Kurzzeitig bekam ich etwas Muffensausen vor der eigenen Courage, aber dann stellte sich heraus, dass all diese Mädchen ausgesprochen nette, lustige und patente Freundinnen sind. Sehr beruhigend, denn ich kannte die meisten nicht. An der Schule, die unsere Tochter besucht, bleiben die Klassen von der fünften bis zum Abitur zusammen, außer natürlich du drehst eine Ehrenrunde. Ich ahne, dass diese Mädchen im Leben meiner Tochter in nächster Zukunft eine immer größere Rolle spielen werden, ihr Lebensumfeld für große Teile des Tages. Also waren wir neugierig. Die Sache war ein Selbstläufer. Im Juni muss ich auch keinen Kuchen backen, schon gar nicht für so viele Kinder (ich backe nicht so besonders gut, schon gar nicht auf Kommando), es reicht ein Eisbuffet. Der Gatte verteilte fünf verschieden Eissorten und dann dekorierten sie nach Lust und Laune mit Streuseln, Sahne, Minimarshmallows, Erdbeeren, Saucen aller Art und kleinen Minikeksen. Alle glücklich, Ofen kalt. Ihre Kissen bedruckten sie selber und brauchten nur Material, keine Unterstützung. Dasselbe beim Abendessen. Sie belegten ihre Burger und fragten höflich nach weiteren Getränken. Zur Fotorally verschwanden sie für zwei Stunden und man hörte nur Gelächter durch die Sommerabendluft wehen. Noch eine kleine Nachtwanderung und um zwölf war Ruhe. Am nächsten Vormittag blieb eine überglückliche, müde, nun Elfjährige zurück. Elf ist ein super Alter, wie ich finde.

Im Juni gibt es Holunderblüten. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Im Juni schreibe ich Packlisten für den Urlaub. Was nimmt man denn nach Cornwall mit? Wir brauchen dringend noch einen Reiseführer. Und Bücher. Ich brauche Bücher. Falls du einen Tipp hast, dann wäre ich dir sehr verbunden. Bitte nichts trauriges. Ich entspanne eh schon so schlecht. Urlauspacklisten schreiben ist auch Verheißung und damit schon ein Stückchen Urlaub selbst.

Im Juni gehen alle später ins Bett und stehen trotzdem ausgeschlafen auf. Ich hetzte niemanden mehr, man muss Frühsommerabende feiern, wie sie fallen.

Im Juni bin ich genauso lernende, fehlerhafte Mutter, wie im Januar. Brülle zum Beispiel meinen Sohn an, weil er seine kleine Schwester angebrüllt hat, was ziemlich absurd ist. Wir streiten, zanken und vergeben uns, genau wie in jeder anderen Woche. Aber im Juni vergebe ich mir irgendwie leichter.

„Sieh mal, draußen ist der Himmel schon ganz blau. Ich glaube, es wird ein schöner Tag. Wir könnten Eis essen, heute Mittag und Wasser spritzen.“, so flüstere ich dem kleinen Wesen mit Weltschmerz zu. „Dann darf ich auch kurze Hosen anziehen und das T-shirt mit dem Hai?“ Sprachs, wischte eine Träne aus dem Auge und sprang beherzt aus dem Jammertal mitten hinein in den Juni.

 

 

 

10 Kommentare zu „Jammertal und Juniglück“

  1. Ich verschlinge gerade so ziemlich alles von Kristin Hannah (fang am Besten mit der Nachtigall an!). Schöne Unterhaltungsliteratur.
    Und Danke für den herzerwärmenden Blogeintrag!!

  2. Wir haben auch gerade einen 11. Geburtstag mit 8 Mädels und Übernachtung (vor)gefeiert, es war gleichzeitig Abschied von der Grundschulklasse und so hatte ich mich zu dem Übernachtungsexperiment überreden lassen – und ich stimme dir voll zu: 11 ist ein prima Alter, es war ein harmonischer Selbstläufer. Das mit den Urlaubslisten inklusive 2 Geburtstagsvorbereitungen wächst mir gerade über den Kopf, denn hier fangen schon in zwei Wochen die Ferien an. Passenderweise liegt hier zum Lesen „Es gibt so viel, was man nicht muss“ von Tomas Sjödin. Genieß deinen Juni noch recht schön.

  3. Wunderbar dein Blogeintag. Voll mit prallem Leben.Die bedruckten Kissen sind toll. Wir haben die Mädchen diese tollen Motive auf die Kissen gezaubert? Gibt es für diese Technik einen Namen? Ich wünsche euch einen wundervollen Urlaub.

    1. Liebe Iris, die Kissen sind vom Schweden riesen. Und Schablonen findest du mittlerweile in jeder Bastelabteilung oder natürlich bei Amazon. Wir gaben die Schablonen aufgelegt und mit Stoffmalfarbe betupft. Das geht mit normalen Haushaltsschwämmchen. Und von längst vergangenen Kindergeburtstagen hatte ich noch etwas Stoffsprühfarbe. Die kam auch noch zum Einsatz. Liebe Grüße

      1. Vielen Dank. Das wird ausprobiert:-) . Das ist jetzt zwar kein Buchtipp im eigentlichen Sinne aber hast du schon das Ferientagebuch für Kinder zum Ausdrucken von Rebekka von Loveletter entdeckt? Ich finde es richtig schön und habe es mir gleich bestellt. Liebe Grüsse zu euch vom Hochrhein( ihr wohnt glaube ich auch am Rhein oder zumindest in der Nähe..?)

  4. Superschön geschrieben, Worte für den Juni, die mich im Rückblick treffen, weil so passend. Der Tipp mit der Eisbar ist klasse, muss ich mir merken, geht bestimmt auch irgendwann für die Enkel Boys. Liebe Grüße aus der Heide

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