Reifeprüfung

„Herzlichen Glückwunsch. Damit seid ihr ordentlich angemeldet und wir sehen uns dann im nächsten Jahr. Auf Wiedersehen!“ Während meine Zwillinge noch höflich und sehr geschäftsmäßig Hände schüttelten, schienen sie unmerklich zwei, drei Zentimeter zu wachsen, als würde allein die Bedeutsamkeit des Augenblicks sie größer werden lassen. Ich schrumpfte in der selben Zeit um etwa zwei, drei Zentimeter. Allein die Bedeutsamkeit des Augenblicks ließ mich innerlich in die Knie gehen. Grundschulanmeldung zum letzten. „Jetzt sind wir  aber schon richtige Vorschulkinder, oder?“, wurde ich auf dem Weg nach draußen gefragt. „Ja, jetzt wohl schon“, seufzte ich, sorgfältig darum bemüht, nicht von einer Horde Erstklässler mit viel zu großen Schulranzen überrannt zu werden.

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Dem Gatten hatte ich gestern Abend schon eine wichtige Erkenntnis mitgeteilt: „Wenn alles gut läuft, dann sind wir in dreizehn Jahren durch, mit dem ganzen Schulgedönse. Hat dann alles in allem 21 Jahre gedauert, wir sind dann quasi schulvolljährig.“ Der Gatte errechnete kurz unser dann erreichtes Lebensalter und befand es für „Ganz okay…“ 13 Jahre. 13 Jahre dauert aller Wahrscheinlichkeit nach, die Schulzeit. 13 Jahre dauerte meine eigene Schulzeit. Danach war ich Besitzerin der Reifeprüfung und kam mir für wenige Wochen sehr bedeutsam vor. Dann stand ich zum ersten Mal auf dem Campus einer großen Stadt und fühlte mich binnen weniger Minuten wieder wie ein Wickelbaby, hilflos, verloren und ausgeliefert. Geschrien hätte ich auch gerne.

Am Sonntag werde ich 13 Jahre Mama sein und dieser Umstand macht mich ganz unfassbar sentimental. Aus meinem erstgeborenen Kind wird ganz offiziell ein Teenager, was für ein Einschnitt. Nicht, das es jetzt furchtbar überraschend käme, es kündigte sich ja schon länger an, aber es ist und bleibt ein Einschnitt, auf dieser irren Reise. Wie schade, dass es kein Reifeprüfungszeugnis für Mütter gibt, nach 13 Jahren des ununterbrochenen Lernens, Forschens und Arbeitens. Und all die vielen Tests, hin und wieder auch gänzlich unvorbereitet! Wie würde es wohl aussehen, mein Reifezeugnis?

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Bestanden hätte ich, da bin ich mir sicher. Immerhin wird der Junge 13 und scheint soweit in gutem Zustand zu sein. Ich habe nie vergessen ihn mit Nahrung zu versorgen (was nicht immer einfach war…), habe eigentlich immer an Trinken gedacht (Anfängerglück- er trinkt bis heute nur Wasser und das findet sich, zumindest in unseren Breiten, nahezu überall), er war noch nie ohne Kleidung aushäusig, wurde regelmäßig grundgereinigt und gut durchgelüftet. Sind das die Mindestanforderungen?

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In manchen Fächern war ich herausragend, das kann ich schon so behaupten, die lagen und liegen mir einfach. Hingabe zum Beispiel. Kaum war das Kerlchen da, habe ich ihm mein Herz geschenkt und ich will es auch gar nicht wieder haben, er darf es getrost für immer behalten. Gute Nacht Lieder singen. Im Arm halten. Endlosgeschichten anhören. Vorlesen. Da war ich besonders emsig. Schon beim Stillen habe ich ihm die Tageszeitung vorgelesen und manchmal auch vorgesungen, weil das gut für die Kinderseele sein soll. Ich habe noch nicht mal die Leistung verweigert, als ich täglich das Traktorlexikon vorlesen musste, nur um dann zwei Stunden lang durch die Weinberge zu laufen- von Traktor zu Traktor. Noch heute weiß ich die Ästhetik eines ordentlichen John Deeres zu schätzen. Ich kann sehr diszipliniert mit Schlafmangel umgehen und Gemüse nahezu unerkannt in jede Mahlzeit schmuggeln. Trösten. Trösten kann ich sehr gut. Still auf einer Bettkante sitzen, sehr lange auch. Und Quatsch machen. Entschuldigung sagen.

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In anderen Fächern musste ich mich ganz schön reinknien und es kostete mich viel Mühe und die ein oder andere Nachhilfestunde. Geduld in all ihren Spielarten ist sehr schwer nur zu lernen ( vor allem, wenn es darum geht fünf Reihen As zu schreiben. Oder Vokabeln zu lernen). Und Seiltanz. Die hohe Kunst des Tanzes auf dem dünnen, dünnen Seil der Erziehung. Und immer wieder fällst du runter. Ich weiß bis heute nicht genau, wie es geht. Und tröste mich damit, dass es wahrscheinlich keiner genau weiß und viele nur so tun als ob. Besser tanzt es sich allerdings Hand in Hand, soviel ist klar. Bedingungslose Liebe zu schenken ist easy peasy. Bedingungslose Annahme des ganzen Menschen, mit all seinen Unwägbarkeiten, Ecken und Kanten ist harte, harte Arbeit und vielleicht eine der schwersten Lektionen. Auf das eigene Bauchgefühl vertrauen auch. Und um echten Rat bitten, wenn du nicht weiter weißt.

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Mittlerweile kann ich auch größere Portionen Angst am Stück runterschlucken, denn nichts lähmt mehr, als eine überbesorgte Mama. Ein Gebet kann in solchen und fast allen anderen Lagen ein gutes Pausenbrot sein.

Steht irgendwo ein mangelhaft, so wie damals, unter der Englischklausur? Tja, ich schätze schon. Und bitte um Nachsicht, denn ich habe mir wirklich immer Mühe gegeben.

13 Jahre. Habe ich jetzt die Allgemeine- Teenie-Reife? Zumindest habe ich einen tollen Jungen. Und werde schrecklich gern seine Teenie-Mutter sein. Wir werden Neues voneinander, aneinander und miteinander lernen. Uns manchmal schrecklich überfordert fühlen, weil wir noch nicht genau wissen, wie alles funktioniert und was das Leben so bereit hält. Und doch dabei immer weiter wachsen.

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Herzlichen Glückwunsch, Frau 7geisslein! Klopf dir mal ein bisschen die Schulter. Sei ruhig ein wenig sentimental, das hast du dir verdient. Nimm deinen Jungen in den Arm, auf den Arm geht ja nicht mehr, und freu dich an ihm.

Und du Mama da draußen, mach das Gleiche. Klopf dir auf die Schultern, freu dich an deinem Kind. Es ist harte Arbeit, aber du machst das großartig!

 

 

4 Kommentare zu „Reifeprüfung“

  1. Liebe Frau 7geisslein, Sie sind toll – DANKE! Ich lesen so gerne bei Ihnen! Geben Sie vielleicht Nachhilfe – habe Defizite im größere-Portionen-Angst-am-Stück-hinunter-schlucken? Würde mich sehr über eine Handlungsempfehlung freuen 🙂
    Freundliche Grüße von tani

  2. Pingback: Neue Lebens-Trauer-Phase – VollkommenBesonders

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