Es ist schon einige Monate her, da traf ich mit einer beunruhigten Deutschlehrerin zum Gespräch. Sie erzählte mir von einem, wie sie fand, höchst ärgerlichen Problem, und sie wünschte sich für dieses Problem eine Lösung. Ich wusste schon vorher, was mich erwarten würde, denn, nun ja, das Problem ist nicht unbedingt neu. Trotzdem hörte ich ihr natürlich zu, lächelte von Zeit zu Zeit wissend und verständnisvoll, denn ich konnte sie wirklich nur zu gut verstehen. Dann sagte ich ihr, dass es für dieses Problem leider keine Lösung geben würde, wir hatten schon vieles versucht, diverse Tests durchlaufen, fachmännischen Rat eingeholt und seien zu dem Entschluss gekommen: es ist, wie es ist. Mit manchen Problemen muss man leben lernen.
Sie starrte mich entgeistert an. „Aber dieses Kind ist ein sehr guter Schüler. Wenn das Problem bleibt, spiegelt die Note nicht die eigentliche Leistung wieder!“ Um es kurz zu machen, das Problem ist natürlich ein Rechtschreibproblem. Nein, wir haben kein LRS, keiner von uns. Wir haben aber einen Hang zum übereilten Arbeiten, vielleicht auch Schludrigkeit, ungebärdige Gedanken, sprunghaft, wie junge Füllen, und zwar einige von uns, mich eingeschlossen. Und wie ein freundlicher Psychologe uns irgendwann mitteilte: das ist keine Diagnose, sondern eine Frage des Charakters. Der Charakter lässt sich schwer ändern. Und natürlich ist es ein wenig schade, wenn sich diese Charaktereigenschaft in Noten widerspiegelt. Es ist aber auch kein Drama, denn es sind nur Noten und nichts wirklich Lebenswichtiges. Akzeptanz und Liebe dagegen sind lebenswichtig. Und schließlich ist es derselbe Charakter, der unser Kind zu genau dem unverwechselbaren, wunderbaren Menschen macht, als der er geschaffen wurde. Ein Einzelstück. Ich zog sehr entspannt meiner Wege und ließ eine nicht ganz so entspannte Lehrerin zurück, die sich wirklich Mühe gegeben hatte und der ich das auch sehr hoch anrechne.
Und falls du dich wunderst- es war und ist ein sehr langer und steiniger Weg zu dieser entspannten Haltung. Tatsächlich musste ich mir irgendwann eingestehen, dass ich ein durchaus leistungsorientierter und ehrgeiziger Mensch bin. Leistung in all ihren Schattierungen, messbar, bewertbar, als Daseinsberechtigung, um Mithalten zu können, es richtig und ordentlich machen, niemals aufgeben, kämpfen können, Grenzen sind eingestandene Schwäche, Leistung also, ist oft mein Motor, und nicht selten läuft er heiß. Ich wollte eine sehr gute Schülerin sein, eine sehr gute Studentin, eine sehr gute Seelsorgerin, eine sehr gute Mutter. Es ist ein schmaler Grad zwischen Disziplin und Wahnsinn.
Und wenn dann natürliche Grenzen auftauchten und, ähem, auftauchen, ist dies ganz schön frustrierend. Ach, und früher oder später tauchen sie auf, oder? Spätestens dann, wenn jemand daher spaziert, der besser ist. Mehr schafft. Schneller ist. Weiter kommt. Die besseren Worte findet. Die Messlatte verschiebt. Bist du dann trotzdem noch genug? Oder geht dir nur vor Erschöpfung langsam die Freude verloren? Auch ohne Leistungsnachweis wertvoll zu sein, ist eine Erkenntnis, um die ich persönlich immer wieder ringen muss.
Das ganze Mutterding ist eine äußerst hilfreiche Sache dabei. Meine Kinder sind Gottesgeschenke, wertvoll, einzigartig, kostbar und geliebt. Deine auch. Unabhängig von Rechtschreibschwächen und Medaillien, von schulischen Höchstleistungen und ersten Plätzen. Jeder Mensch hat seinen ganz eigenen Auftrag, die Welt zu bereichern und bunter zu machen, schade wäre doch nur, wenn er seine Berufung nicht fände, wo auch immer sie liegen mag. Das Leben mag nicht immer lustig sein, aber es soll doch auch Spaß machen, eine Freude im Tun, unabhängig davon, ob das Ergebnis sehr gut, gut oder nur ausreichend ist. Wir sollten fördern und unterstützen, nicht knechten und jagen, weder uns, noch unsere Kinder, egal ob in der Schule oder beim Sport, im Beruf oder beim Marmeladekochen. Ich will meine Kinder annehmen, wie sie sind, sehen, wie sie sind, ihre Gaben und Talente, ihre Eigenschaften, Schrullen und Macken, fünf Einzelstücke. Ich will mich hüten vorm Vergleichen, Wetteifern und Einsortieren, denn es bringt nicht unsere besten Eigenschaften zum Vorschein, schon gar nicht, wenn ich andere dabei abwerte, und sei es nur in Gedanken. Nein, du hast natürlich recht, das ist eine ganz schöne Herausforderung, jeden Tag aufs neue und die Versuchung ist groß, am Esstisch und am Schultor, am Rande des Fußballplatzes und auf Elternabenden sowiso.
Einzelstücke sind unvergleichlich, unersetzlich und unbezahlbar. Eigentlich ganz schlau ausgedacht, oder?
Und wenn das Ergebnis schlussendlich nur Durchschnitt ist? Oder, stell dir nur vor (okay, mir gruselt es dabei), wenn es tatsächlich mal krachend daneben geht? Wenn wir scheitern, es misslingt, der Plan nicht aufgeht, es polternd einstürzt, uns die ganze Chose auf die Füße fällt? Tja, weisst du was? Dann sind wir immer noch genauso wertvoll, genauso geliebt, genauso eine Bereicherung, genauso Gottes Kind. Dann gibt es eben ein spannendes Kapitel mehr in unserem Lebensbuch, haben wir ein paar harte Lektionen gelernt, ist unser Charakter wieder um ein paar Facetten reicher. Dann schlagen wir die Seite um und schreiben weiter.
Viiiiielen Dank für diesen wohltuenden Blogpost!!! Gerade komme ich von einem Psychologen-Gespräch mit meiner Tochter zurück. Er hat sie getestet und jetzt ist es „bewiesen“: sie hat ein Konzentrations- & Hyperaktivitätsproblem. Zum einen ist das natürlich gut zu wissrn, weil wir ihr dann vielleicht gezielter helfen können und nicht Sachen von ihr erwarten, die sie einfach nicht so easy hinbekommen kann wie andere Kinder. Zum anderen ist es immer auch ein „Stempel“ & für mich, die sich total konzentriert in einer Sache verlieren kann & in der Schule nie Probleme hatte, eine echte Herausforderung…
Sie mit Geduld & Entspanntheit genau so anzunehmen und vollkommen wertzuschätzen wie sie jetzt ist & sie trotzdem auch darin zu begleiten, an der Konzentrationsfähigkeit zu arbeiten, wird jetzt meine neue Aufgabe sein. Vielen Dank dir & liebe Grüße!
Ich wünsche dir und deiner Tochter einen guten Weg! Ich empfinde es auch als sehr herausfordernd, meine Kinder gerade in den Punkten anzunehmen, in denen sie so ganz anders sind als ich- und da gibt es auch so einige… Auf der anderen Seite ist es ein wechselseitiges Lernen und Bereichern. Sei lieb gegrüßt!
Tja, was soll ich nur dazu sagen? Recht hast Du. Ich musste es auch lernen und kann es noch immer nicht ganz. Ein hochbegabtes Kind zu haben, das gut durch die Schule kam und dann, im Studium nicht und nicht auf die Fuße sprich zum Abschluss kam. War hart. Und doch weiß ich, dass er genau der Mensch ist, den die Welt braucht, mit all seinen guten Eigenschaften. Das was ihn hemmt, mit dem muss und wird er leben. Ich habe ihn leider früher doch ….? Ich weiß nicht. Ich hab getan was ich konnte, jetzt ist er vierzig. Ob er im Leben angekommen ist, weiß ich nicht. Ich bete fast jeden Tag für ihn und lege meine Liebe zu ihm in Gottes Hände. Es wird gut.
Ach, dein Kommentar hat mich wirklich sehr berührt! Vielen Dank für deine offenen Worte. Wir kennen die Problematik aus der Verwandschaft und wissen auch als Eltern, wie viele Schwierigkeiten gerade dieses Thema so in sich birgt. Wie gut, dass unsere Kinder immer unsere Kinder bleiben, egal, wie alt sie sind und wir sie immer im Gebet begleiten können. Mich tröstet das ungemein. Sei ganz lieb gegrüßt!
Danke. Einen guten Abend.