Gönnen können

Neulich traf ich mich mit einer lieben Freundin, und sie strahlte aus jedem Knopfloch. Es ging ihr gut, sie fühlte sich wohl, war im Reinen mit sich und dem Leben. Das an sich ist schon bemerkenswert. Immer seltener trifft man Menschen, denen es tatsächlich einfach nur gut geht, für den Moment, für den Augenblick, ganz entspannt und in sich ruhend. Die Freundin ganz im Gleichgewicht sah nicht nur gut aus, sie hatte tatsächlich noch etwas Bemerkenswertes fertig gebracht. Sie hatte sich eine Woche Auszeit organisiert, gut geplant und vorbereitet. Sie hatte einen Ort gefunden, an dem sie Körper, Geist und Seele auftanken konnte und weil sie ihre Familie auch an einem guten Ort wusste, konnte sie ihre persönliche Tankstelle auch in vollen Zügen genießen und für sich  nutzen. Großartig. Sie hatte so gut für sich gesorgt, wie es einem überall und jederzeit angeraten wird. Davon hat jetzt nicht nur sie was, sondern aller Wahrscheinlichkeit auch die ganze Familie, der Beruf, das Ehrenamt. Also, ich würde mal sagen: alles Richtig gemacht.

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Dann entschuldigte die Freundin sich für ihre stabile Gemütswetterlage. Und das beschäftigt mich sehr. Sie ist nämlich bei Weitem kein Einzelfall, ich habe dieses Phänomen jetzt schon häufiger erlebt. Warum müssen wir uns entschuldigen, wenn es uns gut geht, oder trauen uns schon gar nicht mehr, Wohlbefinden überhaupt kund zu tun? Warum können wir nicht ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass das tolle Nachrichten sind, über die sich andere mitfreuen können? Sind wir mittlerweile so an Stress, Überforderung und eng getaktetes Alltagschaos, eingegraben in unsere Gesichter, gewöhnt, sind sie so gängige und täglich getragene Wochentags-Kleidungsstücke geworden, dass wir uns ohne nackt und bloß fühlen?

Warum fällt es uns umgekehrt schwer, von Herzen zu gönnen, wenn es jemandem gelingt, gut für sich zu sorgen? Wenn jemand Hilfe bekommt, eine Kur oder einfach mal eine ruhige Zeit hat? Weil ich es selbst nötiger hätte? Weil ich auch müde und oft an meinen Grenzen bin und seit Jahhhhren! keine Pause hatte? Jetzt mal ehrlich Mädels, das ist ungesund (ja, ich schreibe Mädels. Ich glaube tatsächlich, dass das ein Mädelsding ist). Wir suchen und tasten doch alle nach dem richtigen Weg durch den Lebensdschungel. Wir stolpern, fallen, vergessen Pausen zu machen, geraten in Fallstricke, rappeln uns wieder hoch. Ich kenne keine, die nicht drei bis fünf Wackersteine in ihrem Rucksack  mit sich herumschleppt.

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Und doch ist es eine atemberaubende Reise, schön und spannend, es gibt immer wieder Neues zu entdecken und die Aussicht ist manchmal wirklich überwältigend. Wir dürfen müde sein, aber wir dürfen auch ausgeschlafene Tage haben. Manchmal ist das Vorwärtskommen mühselig und schwer, aber manchmal möchtest du sprinten vor Freude und Leichtigkeit. Manchmal verirrst du dich, aber manchmal  siehst du den Weg schnurgerade vor dir. Wäre es nicht grässlich, wenn wir über die Großartigkeiten des Lebens schweigen müssten, als hätten wir etwas zu tiefst Beschämendes erkannt? „Entschuldige bitte, aber ich hadere gerade nicht mit mir, den Umständen und allem Übel, ich finde das Leben darf genau so bleiben, wie es jetzt gerade ist und es ist mir ausgesprochen peinlich! Bestimmt kommen bald wieder schlechtere Tage.“ Das wäre doch wirklich absolut bescheuert und auch ziemlich unvernünftig.

Ganz und gar nicht bescheuert und ziemlich vernünftig wäre es dagegen, einander in allen Gefühlslagen zu unterstützen, voneinander zu lernen und uns gegenseitig gute Wegstrecken von Herzen zu gönnen.

Es ist im Übrigen eine ziemlich beschwerliche Angewohnheit, wenn wir die Wanderschaft der Anderen beständig mit unserer eigenen in Verbindung bringen und direkte Rückschlüsse ziehen. Denn dann werde ich vermeintliche Ungerechtigkeiten finden. Immer. Irgendeine hat es scheinbar immer gerade leichter. Weniger Steine, weniger Wurzeln, weniger Schlammlöcher und jetzt macht sie auch noch Pause und setzt sich dabei nicht versehentlich in ein Termitennest, die blöde Kuh. Spätestens dann bist du nicht nur müde, sondern hast noch dazu schlechte Laune. Oder wir gönnen ihr das leichtere Stück Weg und überlegen, ob wir auch mal eine Pause machen sollten. Eine kleine, gerade einen Spaziergang lang, oder für die Dauer eines Freundinnenkaffees, eines Kinobesuchs oder eine Badewannenlänge. So, wie es eben passt. Wenn mich die Zufriedenheit eines anderen Menschen unzufrieden macht, dann muss ich schleunigst etwas für mich tun, etwas verändern, die Stellschrauben neu justieren. Und irgendetwas geht da immer, egal in welcher Zeit oder Preisklasse du gerade unterwegs bist.

In meinem Falle habe ich meiner lieben Freundin ihre Gemütslage tatsächlich von Herzen gönnen können (klappt auch nicht immer) und mich ein wenig gewärmt an ihrem Strahlen. Ich dachte, wie klug sie ist, und dass ich ein bisschen von dieser Klugheit profitieren könnte. Von stabilen Gemütslagen darf man sich ja gerne anstecken lassen, im Unterschied zu allem anderen, was da gerade so durch die Lüfte fliegt. Vielleicht gönne ich mir irgendwann in diesem Jahr ein Wochenende. Muss ja gar nicht weit weg sein und ein gutes Buch kann auch ganz hervorragender, geistiger Input sein. Zuallererst gönnte ich mir aber einen Teller warme Suppe und einen Becher Kaffee, dick eingemummelt, aber draußen, in den aller ersten Frühlingssonnenstrahlen. Die singen nämlich schon ein kleines Lied, von der Schönheit des Lebens.

Es macht uns nicht zu besseren Menschen, wenn wir beständig über unsere Grenzen hinausgehen. Es macht uns aber höchstwahrscheinlich zu sehr viel zufriedeneren Menschen, wenn wir von Herzen Gutes gönnen, uns selbst und allen anderen auch.

 

 

5 Kommentare zu „Gönnen können“

  1. Ja, wenn jemand es schafft, gut für sich zu sorgen und sich gut zu fühlen, dann ist es doch ein schönes Zeichen, dafür, dass es funktioniert.

    Für mich sind diese Menschen die Lichter in dieser Welt, die uns zeigen, wir können das. Und jeder, der sich gut fühlt und zufrieden ist, mit sich und seinem Leben, ist doch letztendlich eine große Bereicherung.

    Wir senden aus, was wir sind. Wir füttern das, was wir denken – sind Sätze, die mir dazu einfallen.

    Deine Geschichte ist wie ein Geschenk für den heutigen Tag. Danke.

  2. Ich kenne das! Ich erzähle zum Beispiel fast nie, dass ich täglich eine Siesta mache, weil ich dafür schon einige böse Kommentare geerntet habe. Wir leben in einer ver-rückten Kultur, in der man wirklich das Gefühl hat, sich entschuldigen zu müssen, wenn man gut für sich sorgt. Amen Schwester! Ich wünsche dir ganz viele gemütliche Lesestunden gänzlich ohne schlechtes Gewissen.

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