Things we do

Neben mir sitzt ein Viertklässler und brütet über seinem Rechtschreibheft, meine Zwillinge unternehmen einen Streifzug auf der Suche nach Frühblühern, die wir dann benennen und erforschen wollen. Oben übt sich ein Mädchen in Dezimalrechnung und unser Ältester absolviert die erste Einheit eines fünfwöchigen Lauftrainings, dass seine Klassenlehrerin gemailt hat. Es ist Lernzeit bei den 7geisslein und die ist im neuen Tagesplan festgesetzt, dank engagierter Lehrer läuft das homeschooling-Programm. Struktur ist das rettende Wort, wenn drumherum das Chaos herrscht. Struktur gibt großen und kleinen Hausbewohnern Sicherheit und Stabilität, bald wird sich hoffentlich ein neues Alltagsgefühl einstellen.

Heute morgen schlich sich die Frage in meinen Kopf, ob ich dieses Blog-Eckchen vielleicht auch in Corona- Zwangspause schicken sollte. Schließlich erleben wir ja alle mehr oder weniger dasselbe, ist gefühlt schon alles gesagt, geschrieben, erbeten worden und viel Neues kann ich nicht hinzufügen. Andererseits gilt das ja auch für Weihnachten und Ostern und Sommerferien und trotzdem schreibt und liest man sich Jahr für Jahr durch diese besonderen Tage und Zeiten. Nein, ich kann Dir nichts berichten, was du nicht schon weißt. Aber ich kann dir ein wenig davon erzählen, wie wir hier damit umgehen und vielleicht ist es ja genau das, was es braucht. Wir sollten einander erzählen, von uns in diesen ungewöhnlichen Umständen, und uns damit gegenseitig unterstützen, ermutigen und bereichern., ganz genau so, wie an Weihnachten, wo wir ja auch gerne mal die Plätzchenrezepte der anderen probieren, die Bücher und die guten Worte.

Während das fiese Virus in den letzten Wochen unaufhaltsam näher rĂĽckte, schien es eben doch noch zu weit weg, um wirklich zu beunruhigen. Bis letzten Donnerstag frĂĽh morgens um sechs das Telefon läutete und der Gatte anrief. Bis dahin dachte ich eigentlich nur, wie ärgerlich es ist, wenn der eigene Mann auf Tagungen ist und wenn zu Hause an seiner statt ein Magen-Darm-Infekt eingezogen ist. Das Telefonklingeln setzte von einer Minute auf die andere alles auf Null. Häusliche Absonderung fĂĽr vierzehn Tage, denn der Gatte hatte frĂĽher in der Woche einer Konferenz mit Erkrankten beigewohnt. Verdattert saĂźen wir auf dem Sofa, warteten auf seine Heimkehr und sortierten in Gedanken unsere GefĂĽhle und Lebensmittelbestände. Hatte ich mir zu vor noch stolz fehlende Nudelvorräte zu Gute gehalten, dachte ich plötzlich: „Mist!“ und fing direkt an, in mich hineinzuhören, ob der Atem schon röchelt und pfeift, die Temperatur gar schon im Anstieg? Harte Zeiten fĂĽr hypochondrische MĂĽtter und Ehefrauen, denn der Sorgenpool läuft plötzlich ĂĽber und an Phantasie mangelt es mir nicht.

Da alles Sorgen aber nichts nützt und nur kräftezehrend wirkt, habe ich es von meiner To- do- Liste gestrichen. Und weil es ähnlich hartnäckig ist, wie das Virus, streiche ich es am Tag zwei bis fünfzig Mal, immer wieder, unermüdlich. Uns geht es gut. Wenn du ein Dach über dem Kopf hast, Essen im Kühlschrank und im Keller, wenn deine Lieben bei dir sind und alle soweit gesund sind, dann geht es dir gut. Das ist das Wichtigste, alles anderen Einschränkungen sind pillepalle. Was in diesem Falle also auf der To-do -Liste stehen bleiben darf, ist das Danken. Danke für diese relativ glücklichen Umstände. Danke für Freunde, die uns Essen und Brötchen vor die Tür stellen, danke, für den Sonnenschein, der uns draußen im Garten sein lässt, für Frühlingsblumen und kreative Ecken im Internet, danke für jede liebe Nachricht und jedes gute Wort. Stell dir so eine Ausnahmesituation vor zwanzig Jahren vor, ganz ohne Smartphone, Streamingdienste, Internet und all die anderen medialen Informations- und Bespaßungs- Möglichkeiten für Kinder und Erwachsene?

Ein Plänchen haben wir gemacht, das uns allen hilft, das Struktur in den Tag bringt und offenlegt, wie viele Chancen diese besondere Zeit auch in sich birgt. Interessanterweise haben unsere Kinder alle miteinander ihre Pflichtteile gerne angenommen und begrüßt, sie sind vernünftiger, als man gemeinhin annimmt. Sie sind sogar ausgesprochen stolz auf ihre eigene Bedeutsamkeit in diesem ganzen Unterfangen. Wenn so viele so lange auf engem Raum zusammen leben, müssen alle mithelfen, dass das Chaos nicht einzieht. Falls du schon immer mal den Familienzusammenhalt stärken wolltest, jetzt hast du die Möglichkeit und du musst noch nicht mal ein Survivalcamp dafür buchen.

Unser großer Junge hat sein erstes Brot gebacken und schleppt mit seinen Geschwistern im Garten Steine für ein neues Blumenbeet. Mein Mädchen hat schon stricken gelernt und trägt stolz ihre ersten selbstgemachten Hausschuhe. Die Frühblüher stehen in der Vase und warten in der Blumenpresse auf weitere Verwendung. Wenn du schon immer mal etwas Neues ausprobieren wolltest, jetzt hast du die Gelegenheit. Malen, schreiben, Yoga, Brotbacken, Chinesisch lernen, die alten Mystiker studieren oder Handstand lernen, alles Dinge, die man dank Youtube und Pinterest auch zu Hause ausprobieren kann. Worauf hast du Lust? Zusammen oder alleine?

Wir schauen gemeinsam Filme (letztes Highlight: der kleine Nick macht Ferien), der Gatte spielt mit seinen Jungs auf der Playstation und dem Himmel sei Dank gibt es von den ??? so viele Hörspielfolgen.  Mediale Unterhaltung gehört, na klar, dazu und entspannt die Lage ungemein, vor allem, wenn du selber mal eine Pause brauchst.

Jeden Tag drehen wir unsere Runden durch menschenleere Weinberge, der Frühling ist da und es wäre eine Schande ihn nicht zu würdigen in all seiner verschwendungssüchtigen Pracht und Schönheit (nur da natürlich, wo der Frühling zu finden ist, nicht da wo Menschen zu finden sind!!!). Am Abend lassen wir die Kinder die Feuerschale in Gang schmeißen, für eine Weile vor dem Abendessen. Feuer hat ja etwas ungemein Tröstendes, Behütendes und Fokussierendes. Stille kehrt ein, für einen Moment oder zwei. Dann beten wir zum Abschluss gemeinsam, weil wir uns gemeinsam getragen wissen, getröstet und behütet. Und weil wir all die in guten Händen wissen wollen, deren To- do- Liste ganz anders aussieht. Um Leben kämpfen beispielsweise. Das eigene oder das von anderen. Bleibt behütet.

 

11 Kommentare zu „Things we do“

  1. Danke du LIebe fĂĽrs Teilhaben!

    Ich guck mir mal deine To-do-Liste etwas ab um unseren fast 18 jährigen zu motivieren!

  2. Beim Lesen hatte ich das GefĂĽhl, ich wĂĽrde euch ĂĽber die Schulter blicken und alles hautnah miterleben. Das mit der Feuerschale, das gefiel mir dabei richtig gut. Danke.

  3. Danke du Liebe fĂĽrs Teilen und Teilhaben.
    Ich schreibe mal von deiner Liste bissel ab…

    Bleibt behĂĽtet!!!

  4. Liebe Sandra,

    ich h lese hier schon länger mit und mag deine Texte und Gedanken so gern!

    Euer Tagesplan hat mich inspiriert und jetzt haben wir hier zu fünft einen ähnlichen. Es hat bei uns viel Klarheit und Entspannung in das unruhige Gewusel gebracht.
    Auch wenn wir den Plan am ersten Tag gleich wieder nur geduldiges Papier haben sein lassen, um das schöne Wetter am menschenleeren Deich zu genießen….

    Viel tägliches Zuversichts-Manna und liebe Grüße!

  5. Wow, ihr geht ja echt proaktiv mit dieser Situation um, wie schön ? Die Tagesstruktur gefällt mir sehr, klingt vernünftig und ausgeglichen. Davon können sich sogar Leute wie ich, die keine Kinder haben, etwas abschauen ?

  6. Pingback: In Zeiten der Angst – FamilienLeben mit Gott

  7. Pingback: WochenrĂĽckblick 50/2020 – Spurensuche

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