Familie Robinson und die stillen Tage

Kaum sind die Ferien vorĂĽber, da hat uns der Alltag schon wieder fest…ach nee, stimmt ja gar nicht, falscher Anfang. Nochmal. Kaum sind die Ferien vorĂĽber, suchen wir wieder nach einer neuen Form von Alltag. Es ist ein anderes Suchen, als noch vor ein paar Wochen. Der aufgebrachte Aktionismus ist weg. Er hat seine Schwester, die angespannte Dauernervosität mitgenommen, ganz unangenehme Person, wirklich, wie gut, dass sie weg sind, die beiden Nervtöter.

An ihrer statt brachten die Ferien die Stille mit. Sie legte sich über müde Kinder, die viel gearbeitet hatten, über ihre müden Eltern, deckte all die verrückten Tage zu. In den Ferien wurden wir endgültig zu Familie Robinson auf unserer kleinen Insel. Entlädt sich sonst in den ersten Ferientagen immer  die volle Energie von platt gesessenen Popos, die zu lange auf ihren Plastikstühlen in Klassenzimmer ausharren mussten, so war es diesmal nicht nötig. Unsere Lernaktionen im eigenen Daheim haben ja zumindest den Vorteil, sich frei bewegen zu können, eine Runde auf dem Trampolin zu hüpfen, zwischen Lateinvokabeln und Rechtschreibtraining, ein paar Kekse backen oder wenigstens ums Karree rennen. Aber die Anspannung der vergangenen Wochen hatte sehr wohl Spuren hinterlassen, Erschöpfung, Müdigkeit. Und so zog die Stille ein.

Es ist natĂĽrlich keine lautlose Stille, keine stille Stille, aber eine genĂĽgsame. Eine, die nicht nach BespaĂźung ruft, nach gigantischen Bastelaktionen, nach groĂźem Tääterä. Das empfände sie fast als unsittlichen Antrag, sie will endlich ihre Ruhe von all diesem Theater. Ich sitze immer wieder auf dem Bänkchen und schaue, was die Stille macht. Diese Stille will „Drei Fragezeichen“ in der Endlosschleife hören, in der Hängematte, mit allen Geschwistern. Sie will Piratentage haben, unbehelligt von Eltern, wandert stundenlang durch heimische Wälder auf der Suche nach dem richtigen Stock, sie will auf gar keinen Fall lange Instagram-BespaĂźungs-Angebots-Listen abarbeiten. Sie lebt einen eigenen Rythmus, einen eignen Takt, mal fröhlich beschwingt, mal leise und verhalten. Nur das Dramatische, Aufgeregte ist nicht ihres.

Immer wieder beäugte ich die Stille misstrauisch und ich tue es auch weiterhin. Sollte ich denn nicht viel mehr „tun“? Ein bisschen mehr Programm, ein wenig mehr Input, noch schnell ein paar Strukturen mehr zementieren? Wäre da nicht noch Raum fĂĽr Selbstoptimierung und Familienoptimierung? Das schlechte Gewissen plagt mich dann, ich wäre nicht ich, wenn ich mir nicht Gedanken darĂĽber machen wĂĽrde. Aber langsam, in kleinen Schritten, lerne ich dieser neuen Stille zu vertrauen. Es geschieht ganz viel in ihr. Geschwister rĂĽcken immer enger zusammen.

Drei Tage lang war unser Garten eine Pirateninsel, im Zwillingszimmer entstand eine gigantische Playmopiratenwelt und ich räumte nicht auf. Dann wurde alles völlig selbstständig zurück auf den Speicher verbracht, denn jetzt leben die Römer bei uns. Ein kleiner Legionär verkrümmelte sich im Keller und kehrte mit mehreren Lagen Pappe zurück. Der Gatte hatte von jetzt auf gleich keine weißen Shirts mehr im Schrank. Ich fragte nicht nach. Drei Stunden später hatte er alle Schwestern und Brüder mit römischen Schildern ausgestattet und seitdem wird die Schildkrötenformation trainiert. Dank des großen Bruder und der sanften Stimme von Dimiter Inkiov ist das Basis-Wissen mehr als gesichert. Es käme mir unredlich vor, dieses Treiben mit Ausmalbildern und Bastelarbeiten zu stören. Wenn ich die Stille aushalte, dann darf etwas von ganz alleine wachsen. Manchmal nennt sich die Stille Langeweile. Eine lange Weile um sich etwas auszudenken, eine Idee aufkeimen zu lassen, sich etwas zuzutrauen oder in der Hängematte zu schaukeln.

Die neuen Pflänzchen in unserem Garten wachsen auch, sie brauchen etwas Wasser, sie brauchen Erde und Sonne. Sie wachsen aber nicht schneller, wenn ich sie fünfmal am Tag dünge, wenn ich an ihnen ziehe oder sie in Wasser ertränke. Eigentlich schlau. Sie wachsen in der Stille, nahezu unbemerkt.

Jetzt also sind die Ferien vorüber, die Stille bleibt. Und weil mir die neue Mitbewohnerin immer mehr ans Herz wächst, hätte ich gerne, dass es auf Dauer so ist. Der Plan hängt wieder, der Plan gilt. Aber er hat deutlich mehr Leerstellen. Es gibt eine ordentliche große Pause mit einem Imbiss und frischer Luft. Es gibt für die Großen eine zweite Arbeitszeit am Nachmittag, weil die Fülle der Aufgaben sonst nicht zu bewältigen wäre. Da sie aber fest umrissen ist und eine laaaaaange Mittagspause vorher liegt, entlastet sie diese Zeit von dem Gefühl, von diesem Riesenberg erschlagen zu werden.  Ansonsten Stille.

Ich glaube, wenn wir alle gut durch diese Zeit kommen wollen, dann muss eine jede Herde ihren eigenen Rythmus finden, ihren Takt, in dem sie gut leben kann. Denn auch die nächsten Wochen werden anstrengend und bisweilen mühselig werden und manche Gegebenheiten lassen sich schlicht nicht ändern. Vielleicht sieht deine Stille ganz anders aus, als meine. Aber vieles müssen wir gar nicht tun. Vieles glauben wir nur tun zu müssen. Es lohnt sich genau abzuwägen, was es wirklich braucht.

Natürlich bin ich ein großer Lindgren-Fan, wie könnte ich es nicht sein. Aber man fasst ihre Geschichten zu kurz, wenn man sie nur auf das Idyll und hübsche Schwedennamen reduziert. In Katthult sind Liebe und harte Arbeit, Aberglaube und Dreckfüße daheim. Auf Birkenlund leidet die Mama an schweren Depressionen und der Nachbar säuft sich um den Verstand. Auch in Bullerbü wird man zum Holzschlagen und Einkaufen geschickt, und an keiner Stelle, wirklich an keiner werden Kinder von ihren Eltern dauerhaft in Beschlag genommen. Sie war weise, die Frau Lindgren. Sie wusste und kannte die kargen und schwierigen Seiten menschlichen Lebens ganz genau, und die Kinder in ihren Büchern kennen sie auch. Und trotzdem darf das Leben Spaß machen und trotzdem darf Freiheit sein, und Stille. Wir dürfen unseren Kindern ruhig zutrauen, dass sie auch mit diesen besonderen Zeiten umgehen können, dass da kein irreparabler Schaden entsteht. Vielleicht sind viele Momente dieser Zeit sogar besonders kostbar und wertvoll, der gemeinsame Weg durch herausfordernde Umstände, der Mut zur Stille.

 

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3 Kommentare zu „Familie Robinson und die stillen Tage“

  1. Elisabeth Mann

    So schön geschrieben, so aufmunternd!Ja, es steckt viel Potential zur Kreativität in dieser Zeit!Reichlich Segen auf alle von euch !Liebe Grüße,Elisabeth ,

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