…zwei winterliche Monate, bis wir endlich ein Sommerurlaubsziel gefunden und gebucht hatten. Es ist immer schwierig für sieben Personen ein schönes und trotzdem bezahlbares Ferienhaus zu finden. Im letzten Jahr hatte ich mich schockverliebt in die steile Küstenlandschaft Cornwalls, aber dieses Mal hatte die Südfraktion der Familie das entscheidende Stimmrecht und ich fügte mich voller demokratischer Einsicht, aber nichts destotrotz bockig grummelnd. Ich habe nichts gegen den Süden, aber ich stehe in der Fankurve auch nicht ganz vorne. Zwei Monate dachten wir, wir würden nicht fahren können, du weißt schon, aber dann wurde die Reisewarnung aufgehoben und wir packten die Koffer
…12 Stunden, bis wir unser Ziel in der Toskana erreicht hatten. Als das Navi die letzten zweieinhalb Kilometer anzeigte, dachte ich: „Was soll`s, immerhin wir haben es versucht, fahren wir halt wieder heim!“ Die Straße schien für einen vollbesetzten Kleinbus nicht mehr befahrbar, 200 Höhenmeter auf 2 Kilometern unbefestigte Wald und Schotterpiste und durch enge Haarnadelkurven, von hinten leises Quieken, neben mir der Abgrund. Endlich angekommen im Nirgendwo schlotterten die Nerven und die Knie, aber wir waren da. Und die Toskana nahm uns in die Arme, wie eine alte, mütterliche Freundin, unaufgeregt, freundlich und liebevoll. Anfangs noch widerstrebend war ich schnell bereit, mich in diese Arme zu flüchten, nach all dem Irrsinn. Sie streichelte uns mit Wind und Sonne, fütterte uns mit Pasta und Melone und verwöhnte uns mit dem Duft von Rosmarin und Salbei.
…dreißig Minuten, um festzustellen, dass es in der Wildnis kein W-lan gibt. Die Teenies schluckten schwer, bewahrten aber tapfer Contenance. Ich tröstete großzügig mit dem Angebot, sie könnten ja mal mein Handy nutzen, falls es ganz dringend sei. Ich habe nicht so viel Ahnung von mobilen Daten, aber meine waren nach fünf Tagen allesamt aufgebraucht. Dann war mein Handy aus. Netterweise ersparte der Nachwuchs seiner entsetzten Mutter jegliches hämische Gelächter und lächelte nur mitleidig. Diese Form der Entschleunigung ist dermaßen heilsam für überspannte Gemüter, wie meines eines ist, aber manchmal nur durch sanften Druck zu erreichen.
…drei Tage, bis wir wirklich angekommen waren. Wir hatten so unendlich viel Gepäck dabei. Abschiedsschmerz und Coronamüdigkeit, dünnhäutige Seelen, berufliche Herausforderungen, all das Zusammennehmen und am Riemenreißen, ein ganzer Haufen voll Ballast, der uns gereizt sein ließ, müde und ein bisschen streitlustig. Zum ersten Mal hatten wir uns für drei Wochen Ferien entschieden, der Gatte hatte seine Urlaubstage fleißig gespart, und das Wissen um so viel Zeit erlaubte das langsame Loslassen, denn Entspannung funktioniert nicht auf Kommando. Urlaub ist immer ein wenig wie Weihnachten. Da sind so viele Erwartungen, so viel Anspruch an Harmonie und Glückseligkeit. Drei Wochen sind ein unverschämtes Glück, weil auch das Gepäck genug Raum hat.
…72 Stunden, bis ich mich auf einer Luftmatratze durch den Pool treiben ließ und den blauen Himmel von Unten umarmte. Das ist ein Wunder. Ich lasse mich nie treiben, mich treibt höchstens immer etwas um. Aber das mittelalterliche Fleckchen, die Olivenhaine und der Wald machten es uns einfach. Wir schwammen und wanderten, tranken Rotwein und lernten reduzierte Tage im guten Sinne. Unendliche Runden Canaster (der Klassiker, unschlagbar gut) , „Stadt, Land, Fluß“ und „Dodeldido“ wurden gespielt, wir saßen auf warmen Steinen und beobachteten Geckos, suchten das beste Eis (und fanden es auch!), wir lasen vor, lauschten dem Gitarrenspiel unserer Tochter im Abendlicht, was ganz schrecklich kitschig und herzzerreißend schön war, und suchten nach Wildschweinspuren und dem Kreuz des Südens. Ich wurde ein Jahr älter und bin jetzt Mutter eines Zehnjährigen. Sogar verheiratet bin ich jetzt 15 Jahre, du liebe Güte, was alles in einen Urlaub passt.
…10 Tage, bis unsere Zwillinge sicher schwimmen konnten und wir glückselig ausrechneten, wieviel Geld für Schwimmkurse wir nun gespart hatten.
…wenige Stunden, bis der nun medienbefreite Älteste fünf Schwerter aus Olivenholz geschnitzt hatte und ein Trupp Legionäre die Gegend unsicher machte, ein unendliches Spiel in nahezu vollendeter Kulisse.
…drei Wochen, um mich durch diesen Stapel Bücher durchzufressen, es war mir ein Genuss und erst gegen Ende spürte ich, dass ich nun langsam satt wurde von guten Worten und Geschichten. Ich hatte keinen echten Fehlgriff dabei, aber dafür ein absolutes Highlight, ein Buch, wie ein Lebensgeschenk, voller Weisheit und Leichtigkeit. „Was man von hier aus sehen kann“ empfehle ich aus ganzem Herzen, ein echtes Juwel.
…immer nur ein paar Tage, bis wir ein weinig Zivilisation suchten und die Dörfchen und Städtchen der Umgebung erkundeten. Und mein Herz wurde geflutet von Mitgefühl und Hochachtung, für dieses Land, das so gelitten hat. Viele geschlossene Geschäftchen, alle Menschen in allen Altersklassen mit Maske, immer, für den Ankauf von Olivenöl bekamen wir Fieber gemessen, so ist es in vielen Geschäften, und keiner meckert. Die einzigen Menschen, die uns im menschenleeren Florenz ohne Maske begegneten, waren Touristen und ich ärgerte mich sehr, über diesen mangelnden Respekt vor dem Bemühen des Gastlandes.
…15 Tage, bis unser Ältester beim Joggen im Olivenhain schwer stürzte und dabei kurzzeitig Abschied von seiner Kniescheibe nahm. Die letzte Woche war sein Bein dick eingegipst und er hickelte tapfer die steinernen Stufen unseres „Torres“. Es gibt leichtere Herausforderungen, als italienische Notaufnahmen, und eingegipste Teenies ohne w-lan aber mit Schmerzen, die den Pool nur noch sehen, aber nicht nutzen dürfen. Urlaub ist wie das normale Leben, nur an einem anderen Ort und unter anderen Umständen. Irgendetwas ist immer, verletzlich sind wir auch immer und einmal mehr ließ ich die Vorstellung vom Ideal los. Die kann man ja ehrlicherweise gar nicht oft genug loslassen. Und dann war gut. Wir konnten die letzte Woche genießen, wenn auch mit Einschränkungen. Man kann spielen mit Gips und Eis-essen und die Aussicht genießen. Es scheint das Jahr zu sein, in dem wir üben, mit den Umständen umzugehen anstatt sie zu beweinen. In diesem Fall hat es ganz gut geklappt.
…19 Tage, bis unser großes Mädchen beim Versteckenspielen in der Abenddämmerung plötzlich einem Wildschwein gegenüberstand und sie einander in die Augen blickten. Wir anderen schwankten zwischen Grusel und Beneiden, mein kleines Mädchen schwankte nicht, sie war stinksauer. Tagelang folgte sie nun schon Wildschweinspuren und das Leben war einfach nur verflixt ungerecht. Der Gipfel der Unverschämtheit war erreicht, als der Gipsbeinjunge und ich am letzten Tag aus dem Fenster blickten und eine ganze Wildschweinfamilie samt Nachwuchs vorbeispazierte. Wildnis eben. Wir waren gebannt von so viel Schöpfung und trösteten dann die untröstliche kleine Wildschweinsucherin.
…21 Tage, bis wir wieder nach Hause fuhren. Sonnensatt und zufrieden, mit Gipsbein und Erinnerungen, Bergen von Schmutzwäsche und fünf Litern feinstem Olivenöl. Vor allem aber mit Herzen voller Dankbarkeit, für den Ort, der uns so freundlich aufnahm, für die geschenkte Zeit, für die Pause, die wir nötig hatten. Für mein Herz, dass Bockigkeit und Ideale loslassen durfte und ausreichend Zeit dafür bekam.
Falls du deine Pause schon hattest, dann hoffe ich so sehr, dass sie dir wohlgetan hat, egal wo, egal wie. Falls deine Pause noch kommt, dann habe es fein. Und fall du dieses Jahr keine Pause hast, dann halte durch, pass auf dich auf und bleibe behütet.
Juhu ein neuer Text von dir! Ich freue mich! Danke! Er trifft wie immer mitten ins Herz!
Wir haben unsere Pause zu fünft noch vor uns und ich bin wie immer aufgeregt. Übergänge mag ich nicht ?
Gutes ankommen zu Hause!!