Letzten Samstag stellte mir der Gatte mein Geburtstagsgeschenk vor. Natürlich liest du hier immer alle meine Geschichtchen und weil du auch immer aufmerksam bist, wunderst du dich vielleicht. War der Geburtstag nicht schon vor einer gefühlten Ewigkeit? Hat der Mensch etwa tatsächlich den Geburtstag der weltbesten Gattin…?! Nein, hat er nicht, keine Sorge. Aber das Geschenk ließ sich schlecht bis in die Toskana transportieren, ich bekam einen Gutschein und jetzt also war es so weit.
Der Gatte holte aus dem Kofferraum unseres Buses ein Damenfahrrad. Es ist wunderschön, ein herrlich altmodisches Damenrad. Schwarz mit Braunen Griffen und etwas helleren Rädern. Es hat einen Sattel, der eindeutig nicht für Rennfahrerhintern gedacht ist, was mir sehr entgegenkommt und einen ordentlichen Lenker. Es ist ein Retrobiofahrrad, dazu gedacht, es Kraft der eigenen Füßen und Beine in Bewegung zu bringen, für eine Spazierfahrt oder eine Einkaufsrunde, ganz ohne Motor und Akku unter dem Gestänge. Sogar eine Rücktrittsbremse hat es, stell dir mal vor, ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt. Am Schönsten finde ich ja das Körbchen vorne, aus Rattan geflochten und genau richtig groß für einen kleinen Einkauf oder ein Blumensträußchen vom Wegrand.
Ich stand also vor diesem wunderschönen Geschenk und war starr vor Schreck. Es gibt nämlich an der ganzen Geschenkgeschichte einen entscheidenden Haken- ich kann gar nicht Fahrrad fahren. Also ich kann schon irgendwie fahren, ich bleibe oben und falle nicht runter, aber das war es dann auch schon. Es ist ein wenig peinlich. Als Kind habe ich bei einer sich bietenden Gelegenheit an einem Sonntagnachmittag auf die Schnelle das Radfahren gelernt, aber aus Gründen, die hier nun wirklich zu weit führen würden, habe ich nie ein eigenes Rad besessen, geschweige denn eines gefahren. Als Studentin fasste ich mir dann ein Herz und kaufte stolz mein erstes eigenes Fahrrad. Damit eierte ich durch die Mainzer Innenstadt auf ausgewiesenen Radwegen, sprang hin und wieder aus Schreck vor entgegenkommenden Fahrzeugen in voller Fahrt vom Rad und habe Gott sei Dank nie jemanden verletzt.
Einige Jahre später wurde ich wieder Radbesitzerin, auf meinen dringenden Wunsch und es war schon damals der Gatte, der mir diesen Wunsch erfüllte. Tapfer radelte ich los und der Gatte bewies starke Nerven und viel Geduld mit der Wackelkandidatin auf zwei Gummireifen. Ach, aber dann bekam ich ein Baby und dann noch eines und so ging es immer weiter, das Rad rostete im Schuppen vor sich hin und geriet in Vergessenheit.
Schon Wochen vor meinem Geburtstag fühlte der Gatte vor. Wie schön es doch sei, dass alle Kinder jetzt so sicher und absolut verkehrstauglich Fahrradfahren könnten. Mmh, jaja, sehr schön. Wie schade aber, dass bei Radausflügen eine fehlen würde…Grundgütiger! Wie gesund das Radeln an frischer Luft wäre, Alltagsbewegung sei in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen…??!! Ich stimmte ihm in allem Punkten aus vollem Herzen zu. „Ich stelle mir das Radfahren sogar ausgesprochen schön vor. Die Sache ist aber die, lieber Mann, dass ich seit zehn Jahren auf keinem Fahrrad gesessen habe, ich kann es vermutlich gar nicht mehr fahren. Wenn wir ehrlich sind, konnte ich es noch nie wirklich. Kurzum ich habe Angst.“ „Fahrradfahren verlernt der Mensch nicht und Angst ist kein Argument. Wir suchen ein Fahrrad, auf dem du fahren kannst!“, wischte der Gatte alle Bedenken mit einem Handstreich zur Seite.
Ich starrte also das Rad an, meine Kinder um mich herum und was sie sahen, war eine Mutter in Angst. „Das schaffst du Mama, keine Sorge!“, bekam ich von allen Seiten zu hören, und dann wanden sie sich freundlicher Weise ab und taten so, als seien sie mit etwas anderem beschäftigt. Ich fasste mir ein Herz und allen Mut und los ging es. Am Anfang wackelte es noch etwas, aber dann…Dann radelte ich durch den hellrotgoldenen Sommerabend, der nicht schöner hätte sein können, spürte Fahrtwind um die Nase und Leichtigkeit im Herzen. Ich dreht eine große Runde und kehrte zurück. Vor der Haustür stand die ganze Sippe, wartete und bangte und war ganz furchtbar stolz, auf die, die sich getraut hatte. Am nächsten Morgen schlich ich früh aus dem Haus, radelte zum Bäcker und ich war megastolz, dass darfst du mir glauben.
Die letzte Woche habe ich eigentlich nichts anderes getan, als die Ängste, die Sorgen und Bedenken in unserem Haus wahrzunehmen und zu beruhigen. Vor dem großen Schulhof, vor dem Busfahren, vor dem Zugfahren, vor Herausforderungen und Veränderungen, vor vielen fremden Menschen und dem Scheitern auf ganzer Linie. Ich habe gut zugeredet, gebetet, erklärt und immer wieder gesagt:“ Du schaffst das! Und wenn, nicht, dann werden wir eine Lösung finden. Du bist nicht alleine, du wirst sehen, dass es gut wird! Wir sind da. Ich warte auf dich!“ Und dann stand ich jeden Tag an der Bushaltestelle und an der Haustüre und feierte jede Heimkehr, jeden gemeisterten Schritt, jedes Stückchen erobertes Neuland.
An diesem Samstag haben meine Kinder gesehen, dass auch ihrer Mama manchmal vor Angst die Knie schlottern. Und ich finde das gar nicht schlimm. Natürlich sollte man Kinder nicht mit den eigenen Ängsten behelligen, denen, die tief in der Seele verankert sind, die dich nachts besuchen, ohne je greifbar zu sein oder die dir die Sicht vernebeln, da braucht es andere Ratgeber. Aber so eine gewöhnliche Alltagsangst, die Angst vor einer Herausforderung, der du dich stellen musst, so wie sie es auch tagtäglich tun müssen, die darfst du getrost teilen. Und dich dann von denen ermutigen lassen, die du sonst ermutigst. Die Angst vor der Herausforderung gehört ja zum Leben dazu, die muss uns nicht peinlich sein, selbst dann nicht, wenn es um so etwas Albernes wie Fahrradfahren geht. Im Übrigen scheint es so zu sein, dass man nie zu alt ist, um sich zu fürchten und auch nie zu alt, um es dann doch zu wagen. Du kannst gleich loslegen, gleich hier und heute.
Ich fahre jetzt ein Damenrad! Ein Damenrad mit Körbchen…
Gratulation, wieder ein Hindernis zum Glücklichsein gemeistert!