Jetzt sind sie also da, der Advent und der Dezember, die Zielgeraden dieses seltsamen Jahres. Und das ist es, nicht wahr? Ein seltsames Jahr. Es hat mich oft müde gemacht, bröselig und ein wenig überanstrengt. Es hat Kraft gekostet, Geduld, Nerven und, liebe Güte, es hatte so manche Überraschung im Gepäck, die ich nie auspacken wollte. Allein, ich muss es ehrlich sagen, all dieses Chaos hat mich nicht wirklich in meinen Grundfesten erschüttert. Es wackelte natürlich, es polterte der ein oder andere Stein aus der Fassade, aber ich stand immer auf festem Grund. Alles, was mir persönlich heilig und das Wichtigste ist, blieb weitestgehend unberührt und unbeschadet. Meine Familie, meine Kinder, mein Mann, mein Daheim, die Schreiblust in meinem Herzen, all dies geriet nicht ins Wanken und dafür bin ich in erster Linie dankbar. Ich musste nicht um meine Existenz bangen, um einen Beruf, der nicht mehr ausgeübt werden kann, um das Leben meiner Lieben oder das Eigene.
Weil das Jahr mit Überraschungen nun mal nicht geizt, brach sich der Gatte vor einer Woche den Fuß. Das war nicht nur schmerzhaft für ihn, sondern eine ziemliche Herausforderung für uns alle. Wirklich erschüttert war ich aber immer noch nicht. Wenn so etwas passiert, muss man die Zähne ein wenig zusammenbeißen und für den anderen in die Bresche springen. Beides kann ich eigentlich sehr gut, auch, wenn ich vielleicht einen winzig kleinen Teil meines liebreizenden Wesens dabei einbüße, ich bin schließlich keine Heilige. Der Laden lief weiter, ein wenig rumpelig vielleicht, und natürlich anstrengender, aber nun ja. Am Donnerstag dann mein persönliches Erdbeben, das meine Festung ins Wanken brachte. Ich konnte nicht mehr gehen. Irgendetwas musste ich getan haben, was mir mein Knie ganz furchtbar übel genommen hatte und es schwoll binnen Minuten zu einem dicken Ballon an. Nichts ging mehr. Ein Tag vor dem ersehnten Geburtstag meiner beiden Jüngsten. Allein zu Hause, brach ein Erdbeben in meinem Herzen los. Ich funktioniere immer. Auch wenn es weh tut. Auch wenn ich müde bin. Auch wenn Kotzeimer überlaufen, auch wenn sich die Alltagsfiesigkeiten nur so stapeln, auch wenn es hart auf hart kommt. Am Donnerstag auf meinem Stuhl, ohne eine Idee, wie ich meinen Kindern gleich die Haustüre öffnen oder gar ihnen etwas zu Essen machen sollte, funktionierte ich nicht mehr. Die Person, auf die ich mich mit Ausnahme des Gatten, blind verlasse, war plötzlich außer Betrieb. Mir blieb nichts anderes übrig, als um Hilfe zu bitten. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie schwer mir das fiel. Wir haben niemanden in der Nähe, der quasi per Amt dazu verpflichtet wäre, zu helfen. Eine Schwiegermutter oder eine Schwester oder so etwas. Aber Freundinnen, die habe ich. Und die musste ich um Hilfe bitten. Natürlich kamen sie, ich bin ja nicht umsonst mit ihnen befreundet, sondern weil es wunderbare, nette Menschen mit freundlichen Seelen sind. Eine brachte Pesto und kochte ein paar Nudeln ab. Eine andere verfrachtete mich ins Auto und brachte mich zum Arzt. Sie wartete geduldig, bis ich fertig war.
Als wir durch den neblig dunklen Novemberabend nach Hause fuhren, und ich mich ungefähr zwanzig mal bedankt hatte, (nicht weil sie es hören wollte, sondern weil ich es immer wieder sagen musste) meinte ich zu ihr: “ Du weiĂźt, hoffentlich, dass ich dir genauso helfen wĂĽrde??!! Aber du wĂĽrdest mich nicht fragen, oder?“ Keine Sorge, wir kennen uns schon wirklich lange. Sie schaute konzentriert in die nebelige Finsternis und gab lapidar zurĂĽck: „Genauso wenig, wie du. Du bittest auch erst um Hilfe, wenn gar nichts Anderes mehr geht.“ Stimmt. Dabei belieĂźen wir es. Aller letzter Rettungsanker zu sein, ist nicht das Schlechteste.
In der Zwischenzeit musste ich mich noch einige Male überwinden und zähneknirschend um Hilfe bitten. Ein Lahmfuß auf Krücken und ein Hinkebein sind kein wirklich brauchbares Gespann. Unsere großen Kinder kauften ein, buken Geburtstagskuchen und hängten Luftballons auf. Muffins kamen fast durch Zauberhand, damit kleine Gäste eine Freude haben würden. Es gab Sackhüpfen, Dosenwerfen und Kartoffellaufen an der frischen Luft, sogar ein Lagerfeuer brannte, weil große Brüder für kleine Geschwister ein echter Segen sind. Die Patenfamilie brachte sich und die Getränke mit und das Essen der Pizzaservice. So viel Geburtstag war selten. Gestern haben fünf Kinder den Sperrmüll rechtzeitig vom Dachboden geholt und ein Nachbar trug den schweren Sessel die Treppen hinunter. Für ihn kein Problem, für mich irgendwie schon.
Du kannst mir glauben, dass ich für jede Hilfe unendlich dankbar bin. Und doch bleibe ich in meinen Grundfesten erschüttert. Ich funktioniere nicht immer, so bitter das auch ist. Der Gatte auch nicht. Wenn wir beide ausfallen, offenbart es das, was ich am wenigsten aushalte. Unsere Hilfsbedürftigkeit, unsere Angreifbarkeit und unsere Schwäche. Wir haben nicht immer alles im Griff, manchmal nützt Zähnezusammenbeißen rein gar nichts, manchmal muss man abgeben, loslassen, Kontrolle verlieren. Auf der Zielgeraden des Jahres schlittere ich durch diesen Lernprozess und er schmerzt mich deutlich mehr, als mein lädiertes Knie.
Jetzt ist er also da, der Advent. Wir haben die erste Kerze angezĂĽndet, auf einem Adventskranz, den unser Teenager mit dem Rad beim GemĂĽsehändler ausfindig machen konnte. Und seit diese eine Kerze brennt, denke ich daran, dass wir uns das ganze Advents und Weihnachtsgedönse sparen könnten, wenn wir nicht hilfsbedĂĽrftig, angreifbar und schwach wären. Wenn die Welt schon ein strahlend heller Ort gewesen wäre, dann hätte das Licht nicht kommen mĂĽssen. Alle Lichterketten dieser Welt können nicht darĂĽber hinwegtäuschen, dass sie nicht das Strahlen und Leuchten ausmachen, das wir eigentlich ersehnen. Wir feiern Weihnachten, weil wir Hilfe brauchen. Wir feiern Weihnachten, weil uns immer und immer wieder die Dunkelheit umfängt und wir auf dieses Licht angewiesen sind. Wir sind auf dieses Licht angewiesen, das uns verspricht: „Keine Bange, ich helfe dir, gerade in deinen dunkelsten Stunden, an deinen Tiefpunkten und wenn du nicht mehr weiter weiĂźt. Ich will deine Hoffnung sein, dein Trost und dein Rat.“
Dieses seltsame Jahr hat uns allen gezeigt, wie angreifbar und bröselig , wie hilfsbedĂĽrftig unser aller Welt, unser aller Leben ist. Es hat an unseren Grundfesten gerĂĽttelt und ins Wanken gebracht. Vielleicht ist alles, was wir jetzt wirklich brauchen, dieses kleine Licht, das vorsichtig fragt: „Darf ich dir helfen?“
Hat dies auf Werners Traumlounge rebloggt und kommentierte:
Alle, die immer noch dem Irrglauben anhängen, nur Hektik, Geschenken nachjagen und nicht zur Ruhe kommen dürfen, gehört einfach dazu, die Adventszeit zu überleben, sollte sich einmal wenige Minuten Zeit nehmen, und diesen Beitrag lesen!
Danach denkt Ihr sicher anders, wetten? 🙂 <3
Du schreibst das so schön, findest so treffende Worte!Ich kann das so gut nachfühlen,Schon ein bisschen viel, wenn gleich beide Eltern lahmgelegt sind.?Wie genial aber eure Kinder eingesprungen sind ,und die Freunde sich gefreut haben euch mal helfen zu können ,Ich wünsche euch den Segen der kleinen Augenblicke und ein fröhliches Erstaunen über diesen besonderen Advent ?