Und jedem Anfang wohnt ein Rumpeln inne

Vorgestern war Geburtstag und nun wohnen offiziell zwei Teenager in unserem Hause. Das ist furchtbar schön und furchtbar traurig. Geburtstagstechnisch bin ich ganz schlecht aufgestellt. Nicht, wenn es um Kuchen, Kerzen und Girlanden geht, um das Lieblingsessen und die Erfüllung von kleinen Herzenswünschen, da bin ich voll dabei. Aber ich habe einfach einen schrecklichen und unheilbaren Hang zur Sentimentalität. Viermal im Jahr bin ich gänzlich fassungslos, dass aus einem winzig kleinen Anfang etwas so großartiges wie ein echter Mensch werden kann. Und das dieser Mensch wächst und wird, dass er klug, herzlich und lustig ist, ein bisschen so wie wir und doch ganz anders. Und dann schwappt eine riesige Welle an Sehnsucht über mein Herz, weil ich das Baby von damals so gerne nochmal halten und herzen würde, nur eine kleine Weile lang, und gleichzeitig so froh und dankbar bin, dass daraus solch ein Persönlichkeit geworden ist. In ungesehenen Augenblicken muss ich dann ein Tränchen verdrücken, wegen der Jahre, die vergangen sind, wegen all dem gelebten Leben, den gefüllten Stunden, den spitzen Scherben und den vielen funkelnden Goldstücken dazwischen, um den Umstand, dass sich der Lauf der Zeit weder zurückdrehen noch aufhalten lässt und darum, dass das eigentlich ein großer Segen ist. Ich sag`s ja- hoffnungslos sentimental.

Das frischgebackene Teenagermädchen hört gar nicht gerne, dass sie nun ein frischgebackenes Teenagermädchen ist. Ich kann das sehr gut verstehen und sage es deswegen auch nicht mehr, außer hier jetzt natürlich, aber nur kurz, dann vergessen wir es wieder, ja? Zum einen ist das Leben ja ein tägliches Werden und Wachsen, ein stetiges Verändern und Entwickeln, vom ersten bis zum letzten Atemzug und wenn du auf die abwegige Idee kommen solltest, dass sich ab jetzt in deinem Leben bitteschön gar nichts mehr verändern oder entwickeln sollte, weder Innen noch Außen, dann wirst du enttäuscht werden. Auch der Stillstand verändert dich, aber bestimmt nicht zum Guten. Zum anderen beginnen die Teenagerjahre ja nicht pünktlich am 13. Geburtstag, sie kommen auf leisen Sohlen angeschlichen, ganz unmerklich zunächst, bis du irgendwann erstaunt feststellst, dass da kein kleines Mädchen mehr an deinem Tisch sitzt. Das große Gewese um den Eintritt in eine neue Lebensphase ist ein wenig unangenehm, vor allem, wenn die anderen dir das Gefühl geben, dass sie über diese Phase schon alles wüssten, nur du Dummerchen musst da erst noch durch. Schulkinder werden nicht am Tag ihrer Einschulung zu Schulkindern sondern irgendwann in den Monaten drumherum.

Als das Geburtstagsmädchen gerade geboren war, saß ich eines Morgens beim Friseur und starrte die Frau im Spiegel an. Und plötzlich realisierte ich, dass diese Frau nun tatsächlich Mutter war, dass sie unmerklich ein anderer Mensch geworden war in diesen noch nicht mal zwei Jahren, mit nun zwei Kindern in ihrem Daheim. Man könnte doch wirklich meinen, ich hätte das schon ein wenig früher registrieren müssen. Es dauert aber immer ein Weilchen bis solche einschneidenden Veränderungen auch über das offensichtliche hinaus sichtbar und spürbar werden, gerade weil sie sich in winzigsten Schritten bewegen und ganz langsam dein Denken, dein Fühlen und dein Gesicht umbauen, neu ausrichten, anders takten. Dann schaust du dich eines Tages um und stellst erstaunt fest, was für eine steile Wegstrecke du da gerade zurückgelegt hast.

Sie kommen immer wieder, die Zeiten des Umbruchs und der Veränderungen, und in der Regel fĂĽhlen sie sich rumpelig und unbequem an. Bis hierher konnte ich ihnen eher wenig „Zauber“ abgewinnen. Kaum hat man sich im eigenen Leben gemĂĽtlich eingerichtet, kaum meint man sich auszukennen und die Dinge hĂĽbsch ĂĽbersichtlich im Griff zu haben, beginnt das leise Rumpeln von vorne. Es macht dein Herz unruhig und deinen Geist, es erinnert dich daran, dass du noch nicht fertig bist, dass nicht alle Gedanken gedacht, nicht alle Herzenswege erforscht, die Welt vielleicht doch anders funktioniert und längst nicht alle Schätze gehoben sind. Und weil wir uns gut auskennen nennen wir das beim Kleinkind dann Trotzphase und später dann Wackelzahnpubertät und echte Pubertät und dann…ja, eben! Es geht weiter, keine Bange. Denn so sind wir nun mal geschaffen, ausgerumpelt hat es sich erst, wenn wir dereinst wieder Daheim angekommen sind und dann können wir in die Arme unseres himmlischen Vaters sinken und seufzen: „Boah war das eine Reise!“ Nein, lieber Herr Hesse, ich wĂĽrde es nicht Zauber nennen, aber das ist eine sehr subjektive Wahrnehmung. Ansonsten bin ich ganz bei Ihnen und Ihren „Stufen“, sie wollen gegangen werden, eine nach der anderen, bis an das groĂźe Ziel. Du kannst nicht auf deiner Stufe verharren, es wäre doch zu und zu traurig, denn wer weiĂź, was noch alles in dir steckt?

Heute stehe ich im Bad und sehe die Frau im Spiegel an. Ich sehe, dass sie sich verändert hat, mal wieder, nicht nur die Stirnrunzeln erzählen davon (jetzt mal ehrlich, das ist nicht ganz fair, ich wollte immer Lachfältchen haben!). Ich bin nicht länger Mutter von kleinen Kindern, es drängen sich andere Themen in mein Herz, andere Gedanken und Fragen. Es rumpelt mal wieder und fĂĽhlt sich unbequem an, aber ich werde im Laufe dieses Lebens immer mutiger beim Erklimmen der nächsten Stufen. Es braucht keine Unkenrufe vor neuen Lebensphasen, kein mildes Abwinken, keine blöden SprĂĽche. Es braucht ein beherztes „Ja“, ein groĂźe Portion Mut, eine Bitte um Segen fĂĽr den nächsten Wegabschnitt, auf dem es vielleicht etwas rumpeliger zugeht. Egal ob du drei, dreizehn oder fĂĽnfundvierzig bist. Wir sollten uns nicht fĂĽrchten, verzagen oder festklammern. Wenn du angekommen bist, richtest du dich hĂĽbsch ein, erholst dich und wartest, bis alles in dir wieder nach Aufbruch ruft.

Neulich Abend sah ich mir auf Netflix den Film „tea with the dames“ an, der eigentlich gar kein Film ist, sondern eine Art Dokumentation. Die groĂźen, nun sehr betagten Damen des englischen Theaters sind im echten Leben eng miteinander befreundet und treffen sich regelmäßig zum Tee. Ausnahmsweise durfte ein Kamerateam dabei sein und es ist eine Freude Maggie Smith, Judi Dench und Eileen Atkins beim Plaudern zuzuhören. Und ich hörte ihren klugen Humor, all die Geschichten aus längst vergangenen Tagen, die feine Ironie mit Liebe gepaart, ich sah ihre wunderschönen Gesichter voller Runzeln und Leben und ich dachte, dass ich gerne genau so wäre, wenn ich mich in dieser Lebensphase wiederfinde. Dass mir dann eine Frau aus dem Spiegel entgegenschaut, deren Gesicht vom Rumpeln und Ringen erzählt, aber vor allem vom Lieben und Lachen, vom Freuen und vom Dankbarsein.

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