In den letzten zwei Wochen hatte ich mehrere akute Anfälle von Schnappatmung. Du weißt schon, diese Art von Atmung, die immer schneller und hektischer wird, gleichzeitig aber auch immer flacher und oberflächiger. Das Atmen vergisst bei dieser unruhigen Geschäftigkeit kurzzeitig seine eigentliche Bestimmung. Anstatt also Hirn und was sonst so noch dranhängt mit ordentlich Sauerstoff zu versorgen und damit seine volle Funktionstüchtigkeit sicherzustellen, verzettelt es sich in hektischem Rumgeschnappe und wundert sich noch, dass dieser Übereifer nicht mal irgendwie belohnt wird.
Schnappatmung hatte ich vor der ersten Insta-live Lesung, weil das so weit außerhalb meiner Komfortzone lag, dass ich eigentlich ein Flugzeug gebraucht hätte, um irgendwie hinzukommen. Teile von mir schwirren immer noch irgendwo im Orbit umeinander.
Schnappatmung- weil Seidenpapier ein Endgegner ist, wenn du darin Bücher einwickeln sollst und deine Hände mit dem Papier leider nicht kompatibel sind.
Schnappatmung, weil die Post 6! Tage braucht um eine Buchsendung an ihren Zielort zu bringen. Weil eine Sendung ramponiert ankam und eine bis heute nicht. Weil das Verschicken eines Buches ins Ausland 19,90 Euro kosten sollte. Eine liebe Freundin tröstete mich, dass die Postkutsche früher seltener gekommen und Geduld eine Tugend sei.
Schnappatmung, weil mir unbekannte Menschen jetzt knapp 200 Seiten Herzblut in den Händen halten.
Schnappatmung, weil ein Mädchen mit Namen Lina Geburtstag hat, sich aus diesem Grund „schick“ macht und einen Brief ihrer Oma im Briefkasten findet. Dann kommen auch noch Freunde, und zwar am Nachmittag und die bringen ihrerseits viele Geschenke mit. Das Seidenpapier kann einpacken- Diktate sind es, die die Welt zum Einsturz bringen werden, da bin ich mir sicher. Diktate und Geometrie.
Schnappatmung, als ich am Samstag lernen durfte, dass Spitzenschuhe nicht vergleichbar sind mit den handelsüblichen Ballettschläppchen und aufrichtig erschüttert war, als mir die liebenswürdige Verkäuferin die Rechnung über den Tresen schob. Dabei sind die Dinger noch nicht mal tragefertig. Man muss da noch Bänder drannähen. Nähen!! Die Verkäuferin dieses sehr speziellen Einzelhandels war übrigens wirklich zauberhaft. Das und die Freude meines Mädchens haben mich versöhnt.
Schnappatmung, als ein Ischiasnerv, der dummerweise zu meinem Hintern gehört, empört aufjaulte. Immerhin jault er nicht mehr, er hat sich darauf verlegt nölig vor sich hin zu motzen.
Schnappatmung, als ich mit dem Auto die Landstraße befuhr und zwar in ordnungsgemäßer Geschwindigkeit. Und aus dem nichts heraus ein Kind, völlig gedankenverloren und ohne auch nur einmal nach recht und links zu blicken, auf eben diese Straße lief. Mit einem Hund an der Leine. Direkt vor mein Auto. Ich konnte gerade noch rechtzeitig bremsen. Sonst hätte ich mein Kind umgefahren.
Schnappatmung, als ich in einem Fernsehbericht sah, dass Skigebiete jetzt weiter nach oben wandern müssen, weil Klimabedingt unten der Schnee fehlt. An einem Tiroler Wintersportort plant man jetzt einen Berggipfel abzusägen, um dort ein Skistation einzurichten. Hast du mal gelesen, wo die Winterolympiade stattfinden wird? In der Wüste, das ist ja auch sehr naheliegend! Vergiss die Schnappatmung- bei so viel menschlichem Irrsinn bleibt mir schlicht die Luft weg.
Ich könnte dieses Liste noch ein Weilchen fortführen, sei unbesorgt, aber ich will dich nicht langweilen. Du hast bestimmt genug eigene Schnappatmungsmomente.
Gestern kroch ich dann müde, gebeutelt und offensichtlich sauerstofftechnisch unterversorgt auf die Liege der weltbesten Physiotherapeutin. Sie deckte mich zu, legte ein wärmendes Moorkissen auf meinem Bauch und, bevor sie anfing dem blockierten Kreuzbein ein Versöhnungsangebot zu unterbreiten, ließ sie mich atmen. Anfangs ging es kaum tiefer als bis zum Rippenbogen. Am Ende erinnerte sich der Atem wieder, was seine Kernkompetenz ist und er fand den Weg in den Bauch. Als ich nach Hause ging, bekam ich keine komplizierten Übungen mit auf den Weg, aber den eindringlichen Auftrag, doch bitte das Atmen nicht zu vergessen.
Was ich damit sagen will? Ich bin mir nicht sicher. Sicherlich nicht, dass du Aufregungen und Ausflüge in die Wildnis außerhalb deiner Komfortzone meiden solltest. Dass du den Themen, die dir den Schmerz und die Zerbrechlichkeit des Lebens und der Welt vor Augen führen, tunlichst aus dem Weg gehen solltest. Dass du dir besser niemals zu viel vornehmen und auf jeden Fall genug Versicherungen abschließen solltest, dass du dich nie aus der Deckung trauen und dafür immer und jeder Zeit mit dem Schlimmsten rechnen kannst? Nein. Ganz bestimmt nicht. Stell dir vor, du bunkerst dich ein und dann fällt dir ausgerechnet der Kronleuchter auf den Kopf, das wäre höchst ärgerlich. Zum Leben gehören sie nun mal dazu, diese Momente in denen sich alles immer schneller zu drehen beginnt und dein Atem vor lauter Schwindel vergisst, was eigentlich seine Aufgabe war. Das Leben will ja gelebt werden, in all seinen Facetten, mit all seinem Reichtum. Es kostet Mut dieses Leben und Nerven und drei bis fünf Wärmepflaster, aber stell dir vor, du tätest es nicht? Das wäre doch zu und zu traurig und am Ende würdest du es gar nicht wirklich kennen, den Reichtum des Lebens, all das, was in dir steckt an Kraft und Gaben und Grenzen und Erkenntnis.
Aber zwischendurch, wenn du deine Grenzen genug strapaziert hast, musst du wieder zur Ruhe kommen, dich an das Atmen erinnern, tief in den Bauch hinein. Deinem Körper Bewegung schenken, frische Luft und ein warme Wolldecke. Bevor aus aufregendem Leben überspannter Alarmismus wird, bevor die Wärmepflaster ausgehen, bevor dein Herz mit dem Sortieren nicht hinterherkommt.
Seit gestern denke ich daran, dass das ein tröstliches Bild ist, fĂĽr den Vater, der sich um seine Menschenkinder sorgt und kĂĽmmert. Dass er dir ein wärmende Decke gibt und dich an das Atmen erinnert, „Liebes Kind, ich weiĂź, das Leben ist wild! Du machst das groĂźartig, aber jetzt ruhst du aus, ja? Morgen ist auch noch ein Tag und es gibt so viel zu entdecken!“
Infos zu meinem Buch „dieses kleine StĂĽck Himmel- mit allen Sinnen Familie leben“ findest du hier
Ganz arg schöner Artikel. Ich mag es wie du schreibst. Schöne Fotos. Lg