Der April macht was er will und in zwei Wochen ist Ostern. Soweit ist alles beim Alten. Das Wetter bildet die allgemeine Stimmungslage aufs Allerfeinste ab- warm und kalt, wolkig und heiter, stürmisch und windstill, Graupelschauer und gleißender Sonnenschein. Wenn du das Haus verlässt solltest du tunlichst einen Regenschirm, Sonnencreme, T-Shirt, Wollschal und all deine Resilienz-skills in der Tasche haben. Ich sitze schon seit einer geschlagenen Stunde vor meinem Computer rum, steh wieder auf, verräume Wäsche, setze mich wieder hin, koche Tee, setze mich wieder hin, taue Spinat auf…hm. Ich finde Schreiben dieser Tage schwierig. Das Weltgeschehen relativiert nahezu alles, was mir so in den Sinn kommt. Du weißt es und ich weiß es. Das Klagen über fehlendes Mehl, Wäscheberge, die fünf in Mathe und berufliche Herausforderungen bleiben einem im Halse stecken angesichts der leidenden Welt. Und doch will unser Leben auf unserem Stückchen Erde weitergelebt, gefühlt und geliebt werden, mit all seiner aprilwetterhaften Buntheit. Wenn ich dir hier also ein paar Zeilen dalasse über Alltägliches, Zwischenmenschliches und das normale Herzensallerlei, dann weißt du, wie du es einordnen musst.
Vor die Osterfreude hat das Jahr die Fastenzeit gestellt, es scheint eine der Gesetzmäßigkeiten des Lebens zu sein, dass es immer erst ein Weilchen schwer sein muss, bevor es wieder leichtgängiger wird. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen niemals mehr über Fastenvorhaben, Fastenzeiten oder Fastenpläne zu schreiben. Ich lese selbst nicht all zu gerne davon, denn Fastenzeit ist in der Regel die Zeit, in der das Scheitern immer mitgedacht werden muss. Ich scheiterte über die Jahre äußerst konsequent in allen Fastenbelangen und fühlte mich demzufolge auch konsequent elend, wie Versagen sich eben elend anfühlt. Das erschien mir auf Dauer wenig sinnstiftend. Die letzten Jahre empfand ich das ganze Corona-Gedönse als dermaßen strapaziös, dass ich mir von vorneherein eine Fastenabsolution erteilte. Zu lesen, wie anderen das Fasten gelingt finde ich selbst in etwa ebenso ersprießlich, wie zu lesen, dass andere Kinder durchschlafen, in der Schule gerne fleißig sind, sich Familien jubelnd um eine Schüssel Dinkelnudeln mit Tofu sammeln und jederzeit den Obstteller der Maxipackung Toffifee vorziehen würden. Schön für sie. Ätzend für alle anderen. Und doch erzähle ich dir heute von meinem kleinen Fastenexperiment, ich nenne es „Das Kümmerexperiment“.
Ich habe eine mir sehr liebe und teure Freundin, die mich schon geraume Zeit durchs Leben begleitet. Wenn ich ihr hin und wieder mein Herz ausschütte, dann hört sie sich meine Klagen erst geduldig an, runzelt dann ein wenig die Stirn und kommt häufig zu einem kurzen, knackigen Resultat: „Du musst dich eben kümmern“ Dieses Resultat ist in all seiner Schlichtheit äußerst gewaltig. „Wenn du dich nicht kümmerst, wird sich nichts ändern.“ In all den Jahren hat sich dieser Satz in mein Hirn eingebrannt, er ist unbequem und sperrig und wahr. Dabei kümmere ich mich wahnsinnig gerne. Ich kümmere mich um das Wohlergehen meiner Nachkommen an Leib und Seele, um Lateinvokabeln und die rechtzeitige Ankunft bei drölfzig verschiedenen Hobbies, lasse den Hund entwurmen, pflege ein Ehrenamt und besuche Elternabende. Ich kümmere mich um Wäsche und Wollmäuse, Ballettschläppchen, Geburtstagspräsente und Termine beim Kieferorthopäden. Ich kümmere mich sogar um Topfpflanzen und die Fußnägel aller Menschen in diesem Hause unter zwölf.
Ich meine es ernst, ich kümmere mich gerne. Nur um mich, um mich kümmere ich mich nicht so sehr. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist das Hintenanstellen der eigenen Bedürftigkeit eine häufige und auch notwendige Begleiterscheinung des Elternwerdens. Dann geht die Zeit ins Land und sie verstaubt irgendwo im Keller neben den Christbaumkugeln und du vergisst schlicht, sie wieder auszupacken und ihr einen hübschen, sichtbaren Platz in deinem Leben einzuräumen. Das Kümmern um Andere und Anderes hat außerdem oft Priorität, vor allem wenn die anderen weder laufen, noch sprechen, noch alleine aufs Klo gehen können. Am Ende des Tages und vieler Stunden Kümmerei bist du müde geworden und vertagst das Selbstkümmern auf morgen. Und dann auf morgen. Und dann musst du Schultüten füllen und das Biobuch suchen und vertagst es wieder auf morgen. Außerdem mag keiner Egoisten, du selbst auch nicht. Man sollte sich selbst nicht so wichtig nehmen. Als Kind schon habe ich viel gelernt über den Ich-Menschen und den Du-Menschen und es war schnell klar, worauf die Sache hinauslief. Schließlich gibt es noch einen weiteren Grund. Nimmst du irgendwann deine Bedürftigkeit wahr, dann wünschst du dir nach, in und bei all der Kümmerei, dass sich gefälligst ein anderer um deine Belange kümmern soll. Das jemand kommen möge, der sich um dich sorgt und die Dinge in die Hand nimmt, die endlich mal in Angriff genommen werden müssten. Also mir zumindest ergeht es so. Deshalb habe ich eine liebe Freundin, die mir hin und wieder sperrige Dinge mit auf den Weg gibt.
Man kann eine sehr lange Weile sehr bockig darauf warten, dass ein Engel aus dem Nichts auftaucht und sich um alles kümmert, aber: wenn du ein erwachsener Mensch in Vollbesitz deiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten bist, dann kannst du warten bis zum St Nimmerleinstag. Egal, wieviel man sich um Andere und Anderes kümmert, die Verantwortung für die ureigenen Belange nimmt dir keiner ab. Zur Freiheit und Selbstbestimmung des volljährigen Menschen gehört, dass er sein erster Kümmerer ist. In gewisser Hinsicht ist man selbst sein erstes Kind. Deinem Kind machst du Arzttermine aus, um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung ist oder Hilfe zu bekommen, wenn das Mittelohr schmerzt und das Fieber steigt. Du sorgst dafür, dass es satt ist und nicht mit der Chipstüte als Pausenbrot das Haus verlässt, bestimmt drückst du ihm noch die Wasserflasche in die Hand. Wahrscheinlich ist dir wichtig, dass der kleine Mensch viel an der frischen Luft ist, sich genügend bewegt und alle Möglichkeiten hat seinen Geist zu entfalten. Deshalb fütterst du ihn nicht nur mit Essen sondern auch mit Büchern und Geschichten und anderen guten Dingen, die den Horizont erweitern. Hat das Kind zu lange über zu schweren Hausaufgaben gesessen, dann scheuchst du es nach draußen zum Spielen und du lädst andere Kinder ein in dein Haus, weil du genau weißt, wie wichtig Kinderfreundschaften sind. Du hältst es und du wiegst es, bis es rechtzeitig eingeschlafen ist und wenn es 15 Jahre alt ist, dann wummerst du gegen die Türe und sagst energisch: „Schluss jetzt, es ist allerhöchste Schlafenszeit, schlaf gut mein Schatz und ja ich weiß, dass ich nerve.“ Du kümmerst dich um das, was du liebst.
In dieser Fastenzeit kümmere ich mich. Ich mache Arzttermine aus und nehme sie auch wahr (ein armer Orthopäde starrte entgeistert auf ein Röntgenbild und meinte schließlich: das wurde ja Zeit, dass Sie hier mal vorbeischauen. Schmerzen sind in der Regel ein guter Grund). Ich rolle meine Yogamatte aus und mache ein wenig Sport. Koche Essen, das mir schmeckt und gut tut, lese Bücher, die mich herausfordern. Mute mich mir selbst zu in dem ich weglasse, was nur betäubt. Es sind kleine Schritte, die ich gehe. Es ist ein Experiment, das mir wohltut und nicht mit dem Osterfest enden soll. Ich will mich kümmern. Ich bin beschenkt mit meiner Familie und meinem Mann. Aber eben auch mit meinem eigenen Leben in meinem eigenen Körper. Wann hast du dich zuletzt um dein erstes Kind gekümmert? Lust auf ein Experiment?
Wenn du ein dreiviertel Stündchen Zeit übrig hast, dann höre dir doch gerne das Gespräch an, das ich im Radio über „Dieses kleines Stück Himmel…“ führen durfte. Das hat wirklich Spaß gemacht! Ich freue mich, wenn du reinhörst. Hier gehts zum erf
Nach Zweidrittel des Tages, wollte ich mit deinem Blog und einer Tasse Kaffee Energie für den Rest holen und sitze da und weine…
Gar nicht so einfach die Balance zu halten, ja und ich kenne das Bedürfnis, wann kümmert sich jemand um mich? Danke, für diese gute Fastenaktion : um sich selbst kümmern, bevor man verkümmert. Und deinem Rücken (?) Gute Besserung.