Gebrauchte Tage

Gestern Abend, kurz vor acht, plumpste ich in das Auto der Nachbarin, die mich freundlicherweise zu einem Arbeitstreffen mitnahm Ich dachte schon, ich könne gar nicht aus dem Haus gehen, weil sich mein SchlĂĽssel nirgendwo finden lieĂź. Ich hatte gesucht, ich hatte gezetert, ich hatte schon befĂĽrchtet mit dem SchlĂĽssel auch den Verstand verloren zu haben. Gott sei Dank fiel es einer kleinen Mitbewohnerin gerade noch rechtzeitig ein, dass sie den SchlĂĽssel in den Briefkasten gelegt hatte. Die BeweggrĂĽnde lieĂźen sich nicht mehr rekonstruieren. Manchmal kann ich richtiggehend fĂĽhlen, wie die Haare auf meinem Kopf langsam grau werden. Ich plumpste also ins Auto der wartenden Nachbarin und musste schnell noch loswerden, was sich vor der hektischen SchlĂĽsselsucherei zugetragen hatte. Da hatte ich nämlich die Geschichte von einem jungen Mädchen auf Inlinern erfahren, das es ordentlich gelegt hatte und dem dabei Knie und Handy zu Schaden gekommen waren. Das Knie wird heilen, das Handy ist leider verstorben. Ich tröstete, holte Arnikasalbe und ging auf SchlĂĽsselsuche. „Ach,“ sagte die Nachbarin. „ein gebrauchter Tag.“ Also diese Formulierung hatte ich noch nie gehört, aber es traf den Nagel auf den Kopf. Ein gebrauchter Tag, wie das Montagsauto unter den Fahrzeugen, das untergemogelte Brötchen von vorgestern, der Wurm im Apfel, schlicht eine einzige verkorkste Zumutung.

Ich dachte an diesen Fiesmöpp von Tag, der schon morgens um vier Uhr begonnen hatte. Ab da lag ich nämlich schlaflos im Bett und starrte grübelnd in die Dunkelheit (ich bin jetzt in diesem gewissen Alter, wo das hin und wieder vorkommt, so wie meine Kinder ja auch jetzt in dieses gewisse Alter kommen, nur bei mir eben rückwärts. Während Teenager quasi beständig schlafen können, liegen andere wach. Das ist übrigens doof geregelt. Teenies WOLLEN nämlich zur Unzeit wach sein, während ich einfach nur schlafen möchte)

Um sechs Uhr nahm ich den Tag in Angriff und damit auch die Brotdosen der Kinder. Halt nein, erst das wildgewordene Hundemädchen begrĂĽĂźen, das sich jeden Morgen so ungebärdig freut, wenn ich mich aus dem Schlafzimmer bewege. Allmorgendlich ist sie akut vom Hungertod bedroht, weshalb immer und unverzĂĽglich Futter in den Napf muss. Ausflugstag fĂĽr die jĂĽngeren Kinder. An Ausflugstagen, so will es das Gesetz, mĂĽssen Brotdosen so befĂĽllt werden, das man sich auch jederzeit fĂĽr eine Expedition zum Nordpol anstelle des Museums in Mainz umentscheiden könnte. Wraps sind da eine feine Sachen, die kann man fĂĽllen, was zur Hölle…der gesamte Inhalt des KĂĽhlschranks kam mir mit Wucht entgegengeflogen. Man kann den Kindern keinen Vorwurf machen. Sie sollten den KĂĽhlschrank einräumen, sie haben ihn eingeräumt. Vom „wie“ war keine Rede. Das Hundemädchen immer in Lauerstellung schnappte sich beherzt ein groĂźes StĂĽck Parmesankäse und suchte das Weite. Ich sammelte ĂĽbellaunig die restlichen Dosen und Packungen auf. Nur Wraps konnte ich nicht aufsammeln. Die waren verschwunden, weg, nicht das kleinste Eckchen mehr vorhanden. Labradore und Heranwachsende haben einiges gemeinsam, nicht zuletzt eine tiefe Sehnsucht nach Snacks. Also schnödes Brot. Eier. Eier retten alles und machen aus jeder Käsestulle einen ausflugtauglichen Festtagsschmaus. Ich setzte Eier auf den Herd und nutzt das entstehende Zeitfenster zum Anziehen. Drei Minuten später tönte es von unten: „Mama!! Auf dem Herd kocht was seltsames ĂĽber, es schäumt so!“ Noch ein Stockwerk tiefer setzte jemand einen schnorchelnden Hilferuf ab: „Isch abe ganz donn Nasenbnuten. Kann mir jemand henfen??“ Ich raste runter, zog mit der einen Hand die Eier vom Herd, nur eines kaputt, die anderen brauchbar und grapschte Waschlappen aus der Schublade. Eier abschrecken und Waschlappen kĂĽhlen geht gleichzeitig. Jetzt aber konnte ich endlich Brote schmieren und das Chili vom Vortag fĂĽr das Henkelmännchen des groĂźen Jungen erwärmen. Denkste, neuer Hilferuf, diesmal von Oben. „Ich finde keine Hose mehr!“ ZurĂĽckbrĂĽllen, das Hosen im Trockner zu finden sind und bei der Gelegenheit gleich erwähnen, dass man ĂĽberhaupt nie wieder fĂĽr irgendjemanden irgendein Brot schmieren wird, wenn diese vermaledeiten Brotdosen nicht am Vorabend eigenhändig gespĂĽlt und bereitgestellt werden!! Essen abfĂĽllen und eindosen, Nasenblutlappen gegen Erkältungsmedizin austauschen, Trinkflaschen befĂĽllen, AusflugssĂĽĂźkram in Zweitdosen wurschteln, an SchlĂĽssel, Handis, und MĂĽtze erinnern, selbst an fällige Entschuldigung erinnert werden, sehr geehrter Herr Soundso, wie schreibt man Soundso??!!, viel GlĂĽck fĂĽr Französisch wĂĽnschen und viel Freude im Museum und dem Nasenbluter noch TaschentĂĽcher zustecken, den Hund schnappen und endlich eine Runde drehen. Es war 6.55 Uhr.

Eines musste man diesem gebrauchten Tag lassen- er blieb sich und seiner Linie treu. Am Vormittag hielt er noch eine nervenaufreibende und anstrengende Onlinelesung im Rahmen der rheinlandpfälzischen Gesundheitswoche für mich bereit, die schon allein deshalb anstrengend war, weil ich mich im Vorhinein so vor ihr gegruselt hatte. Das Hundemädchen testete derweil vegane Schokolade mit Salzmandelgeschmack. Ich scheiterte am Prozentrechnen für die siebte Klasse und steckte beim Abholen vom Gitarrenunterricht hoffnungslos zwischen einem gigantischen ADAC Abschleppwagen und den parkenden Autos vor einem Hundefrisör fest.

Um 22.00 gestern Abend ging der gebrauchte Tag langsam zu Ende. Als ich heimkam wartete im Wohnzimmer der groĂźe Junge und ich freute mich wirklich ihn zu sehen. Wir schauten noch ein wenig Nachrichten. Um halb elf kehrte der Gatte von der Arbeit heim. Er hatte auch einen gebrauchten Tag gehabt. Wir haben uns gegenseitig ein wenig leidgetan und uns eine gute Nacht gewĂĽnscht. So ist es manchmal.

Nein, ich werde jetzt nicht das Gute in gebrauchten Tagen suchen, winzige Glücksmomente im große Chaos, heilbringende Segenskörnchen in dieser Absurdität von einem Tag, könnte man bestimmt, natürlich, aber ich habe keine Lust. In manchen Tagen steckt einfach der Wurm drin und das einzig Beruhigende ist, das auch der längste, murksigste Tag irgendwann zu Ende geht und am nächsten Morgen ein niegelnagelneuer auf dich wartet. Sie gehören zu uns, zu unseren Leben, zum Auf und Ab, ein wilder Tag in wildem Grau, sonst wäre das Bild deines Lebens irgendwann unvollständig. Abgesehen davon, weiß man natürlich einen hundsgewöhnlichen Alltagstag ganz neu zu schätzen. Falls du also auch einen gebrauchten Tag erwischt hast, dann hast du mein volles Mitgefühl, Augen zu und durch. Du musst ihn dir nicht schönreden, du musst ihn nur durchstehen und irgendwann wird Abend sein, puh, geschafft. Vergiss nicht dir etwas Gutes zu tun, wenn es wieder runder läuft.

Ganz praktisch

Gleich zwei Bücher sind in den letzten Wochen in mein Leben geflattert und ich möchte sie Dir beide dringlichst empfehlen und ans Herz legen.

Wenn ich etwas am Hundefrauchen sein liebe, abgesehen vom Hund natĂĽrlich, dann das ich Tag fĂĽr Tag durch den Weinberg laufen darf und damit auch ganz bewusst durch den Jahreskreis. Der Rhythmus des Lebens, der Lauf der Jahreszeiten erden ungemein, sie sind ein Geschenk des Himmels und eine unaufgeregte Einladung im Hier und Jetzt zu leben. Nicole Schweiger und Anne- Maria Apelt ist nun mit „Im Einklang mit dem Jahreskreis“ ein ganz wunderbares Buch gelungen, dass dich mit durch diesen Jahreskreis nimmt und noch mehr Lust macht, ihn bewusst zu gestalten. Es ist vollgepackt mit Wissenswertem zu den groĂźen und kleinen Festen, mit Ritualen und kreativen Ideen, mit Herzblut und einer groĂźen Liebe zur Schöpfung. Du kannst dir damit vor allem selbst eine Freude machen, denn auch wenn es bestimmt fĂĽr jede Familie eine Schatztruhe ist, so kannst du es auch ganz wunderbar fĂĽr dich alleine nutzen. Ich habe es auf einen Haps verschlungen und werde es nun, ganz so wie es sich gehört, Monat fĂĽr Monat nutzen, damit das Jahr nicht einfach vorĂĽber rast und ich womöglich vergesse, die kleinen Kostbarkeiten mit und wahrzunehmen, die es fĂĽr uns bereit hält.

In das zweite Buch habe ich mich schockverliebt, anders kann ich es nicht sagen. Christina Schöffler schreibt mit „Slow living- aus der Ruhe leben“ direkt in mein Herz. Die 52 Impulse fĂĽr Sonntagsentdecker habe ich selbstverständlich nicht an 52 Sonntagen gelesen sondern ebenfalls auf einen Haps. Und ich werde es wieder lesen und wieder und wieder. So ein Buch ist das. Voll mit klugen Sätzen und Worten, die meinem oft so aufgebrachten Herzen Ruhe schenken und mich tief atmen lassen. Manchmal bewirken solche slow living BĂĽcher ja genau das Gegenteil, man will sich gleich furchtbar anstrengen endlich langsam im Hier und Jetzt zu leben, was nur zu noch mehr Hektik und Aktionismus fĂĽhrt. Christina schenkt dir mit ihren Worten weiten Raum. Aus ihnen sprechen Herzenswärme, Klugheit und eine tiefe Liebe zu Gott und den Menschen. Ich nehme mir einzelne Sätze mit in den Tag, nicht nur in den Sonntag, sondern in jeden. Wie oft habe ich schon mit dem Sonntag und all seinen vermeintlichen AnsprĂĽchen gehadert. Plötzlich ahne ich, dass eine neue Annäherung an dieses Gottesgeschenk lohnend sein wird. Langsam, in kleinen Schritten.

Letze Woche durfte ich zu Gast bei den Böblinger Couchgesprächen sein, was eine sehr schöne Erfahrung war. Wenn du magst kannst du das Gespräch hier nachschauen.

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2 Kommentare zu „Gebrauchte Tage“

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