Zu meinem November gehört seit einigen Jahren eine kleine, feine Aktion, die du auf den einschlägigen Plattformen unter dem Hashtag #bewusstnovembern finden kannst. Daniela, von elternsein-familie leben, ist diese wunderbare Idee einst in Herz und Hirn gefallen, dem Himmel sei Dank. Der November ist bekanntermaßen kein einfacher Geselle und nun ja, wir neigen ab und an dazu, schwierige Gäste erst gar nicht zur Party einzuladen. Dieses Jahr wendet sich die das „bewusste novembern“ himmelwärts. Weil ich mit Instagramm und seinen Anverwandten bis heute nicht wirklich befreundet sondern höchstens bekannt bin, novembere ich hier ein bisschen.
Letzte Woche habe ich leider verpasst, dabei ging es um „himmelwärts hoffen“ und dazu hätte ich bestimmt einiges schreiben können, so hübsch und gefällig das Thema, nicht wahr? Aber, wie das Leben manchmal spielt, gab es in diesen Tagen ein ganzes Chaos voll zu novembern, da blieb wenig bis gar keine Zeit für „bewusstes“. Diese Woche ist mit „himmelwärts schreien“ thematisch leider nicht ganz so gefällig aufgestellt.
Vielleicht liegt es daran, dass das Schreien nicht unbedingt meine Kommunikationsform ist. Zetern, laut werden, schimpfen, Haare raufen sind eher in meinem Repertoire, wenn ich sie auch nicht wirklich gerne und leidenschaftlich einsetze. Beim Schreien steigen sofort Bilder von hysterisch kreischenden Frauen vor meinem inneren Auge auf, die sich gerne mal die Kleider vom Leib reißen und dabei schwer verstehbar sind, denn die Stimmen überschlagen sich. Oder laut schreiende Männer mit hochroten Köpfen, die kleine Ader am Kopf schwillt schon an, ganz blau und pochend. Äußerst unangenehm, finde ich, unangenehm und vor allem wenig zielführend.
Ich erinnere mich an die kläglichen Versuche das richtige Schreien in diversen Geburtsvorbereitungskursen zu erlernen, soll ja sehr befreiend und der Sache dienlich sein. Ach, ich war keine gute Schülerin, denn ich möchte die Dinge doch wirklich gerne im Griff behalten und ein wild schreiender Mensch hat den Griff und sich selbst offensichtlich nicht in der Hand. Peinlich berührt saß ich zwischen all den anderen werdenden Mütter und schaffte höchsten ein Maulwurfsfiepen. Als es soweit war lief ich wie ein störrisches kleines Eselchen Stunde um Stunde im Kreis herum und weigerte mich hartnäckig auch nur in die Nähe irgendeines Bettes zu kommen, geschweige denn herumzubrüllen. Bei unserem dritten Kind kannte mich die Hebamme schon ganz gut und meinte zur ratlosen Kollegin: Vergiss es, die legt sich in kein Bett, hol einen Hocker und lass sie laufen!“ Ich habe mir meine Kinder aus dem Leib gelaufen und nicht aus dem Leib geschrien. Hätte man mich Zwillinge auf natürlichem Wege gebären lassen, wer weiß wo ich hingelaufen wäre?!
Ich habe meinen Griff hin und wieder so eisern in der Hand, das mir dann Rücken und Nacken, Schultern und alles, was da dranhängt irgendwann Schmerzen bereiten, ganz das störrische Eselchen, die Hufe fest in die Erde gestemmt und angespannt, wie ein kleiner Flitzebogen. Als ich eines Tages mit dem „bockigen Eselsyndrom“ bei der Rückenfrau meines Vertrauens herumlag, nahm sie mir das wohlig warme Moorkissen von den Schultern, reichte mir stattdessen ein ganz normales Kissen und meinte: „Die ganze Spannung muss da raus. Wir schreien jetzt“ „Hä??!!“ Also gut, von mir aus, wir standen nebeneinander und schrien in Kissen. Vielleicht ist schreien zu viel gesagt, aber mehr als ein Maulwurfsfiepen war es auf jeden Fall. Seither lerne ich schreien. Am besten klappt es im Auto, nur wenn ich alleine bin, selbstverständlich, und die Musik ganz laut aufgedreht ist. Es kostet Überwindung und ich versichere mich erst, dass kein Auto neben mir steht. Aber wenn ich es schaffe, dann kommt sie raus, die ganze Spannung und mit ihr die Illusion irgendetwas im Griff zu haben.
Du siehst, ich hab es nicht so mit dem Schreien, auch nicht himmelwärts, man will ja auch niemanden belästigen und wegen Nichtigkeiten die Nerven verlieren. Nichtig ist im weltweiten Verhältnis gesehen quasi alles, zumindest sehr viel. Das Thema lag mir irgendwie quer in der Magengegend, die ganze Woche schon. Gestern Abend wurde mir dann ein kleines Aha-Erlebnis geschenkt. Eines der Kinder bekam vom Leben einen großen Haufen Mist vor die Füße gekippt und gestern war es einfach Zuviel. Ich habe ein neues Wort gelernt, man nennt solcher Art Zusammenbrüche, wie ich sie gestern miterleben konnte, jetzt „meltdown“. Sehr treffend. Alle Contenance, alles Tapfer sein und am Riemen reißen, alles Runterschlucken und Wegstecken schmolz dahin wie Eiswürfel in der Sonne. Und all der Schmerz, der dieses Menschenkind überwältigte, die Überforderung und Ratlosigkeit, wurde herausgeweint, gerotzt und ja, geschrien. Das dauerte eine ganze Weile. Ich saß und hielt fest und hielt aus und wiegte das Elend hin und her. Mehr konnte ich nicht tun. Als der Sturm vorbei war, war der Misthaufen noch da. Aber er lag in friedlicher Abendsonne. Dem Menschenkind ging es besser. Wir betrachteten den Misthaufen und konnten langsam darüber nachdenken, wie wir ihn wieder loswerden.
Himmelwärts schreien? Das Problem liegt vielleicht weniger bei dem, den du anschreist. Dem, dem du all deinen Schmerz, deine Ratlosigkeit, deine Wut und Verzweiflung entgegenschleuderst, das Elend der Welt und dein eigenes, egal wie groß oder klein, wichtig oder nichtig es ist. Wer vermag das schon zu beurteilen? Der, den du anschreist, ist da und hält fest und hält aus, auch, wenn er es nicht ändern kann. Du brauchst dich nicht schämen, es ist nichts Lästerliches dabei, er liebt dich doch dein Gott, glauben wir ernsthaft, dass ihn unser Schmerz nichts anginge? Das Problem liegt vielleicht eher am Griff, den der Mensch gerne hätte und leider nicht hat. Am eisernen Festhalten einer Idee von Kontrolle, einer gültigen Ordnung und einer passenden Lösung für jede Herausforderung. Die Wahrheit ist, dass es diesen Griff nicht gibt und das ist eine Erkenntnis, die für störrische Eselchen nur schwer auszuhalten ist. Also schrei himmelwärts, liebes Menschenkind, schrei, damit Frieden einkehren kann, in dein Herz.
Praktischerweise
Natürlich empfehle ich dir jetzt nochmal ganz offiziell auch ein wenig bewusst zu novembern. Vielleicht schreibst du selbst etwas dazu oder magst auch die Texte und Impulse Anderer dazu lesen. Nutze den Hashtag und du wirst fündig.
Einmal im Monat bin ich zu Gast bei mamalismus.de und hier findest du ein paar Gedanken von mir, warum es klug ist den November angemessen zu würdigen.
Hast du auch hin und wieder Brötchen und Laugenstangen übrig? Ich schneide sie jetzt immer in dünne Scheiben, bepinsele sie mit Olivenöl, Knoblauch und etwas Salz, streue ein wenig Käse darüber und packe das Ganze für einige Minuten in den Ofen. Schwups ist aus alt lecker geworden und du musst nichts wegwerfen.
Fürchtest du den Winter und noch mehr die kalten Füße? Fehlt es dir an Oma und Tanten die dir warme Socken stricken? Dann versuche es doch einfach selbst. Ich weiß, Socken stricken ist irgendwie wahnsinnig kompliziert, aber die basic Socken sind tatsächlich ratzfatz fertig, mollig warm und es gibt überhaupt keine komplizierte Ferse, sondern nur verkürzte Reihen und die sind wirklich gut erklärt.
Ich weiß, es nicht jedermanns Sache oder vielmehr Humor, aber wenn doch, dann verpasse auf keinen Fall die „Derry girls“, vor allem dann nicht, wenn du Anfang der Neunziger ein Schulmädchen warst. Ich habe die dritte Staffel wirklich gefeiert, bin absolut Team „Sister Michel“ und wünschte es gäbe mehr solcher herzzerreißenden, skurrilen und klugen Serien.
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