Jeden Montag findet sich an unserem Esstisch eine kleine Versammlung ein. Halt, eben nicht. Nicht jeden Montag, sondern nur alle zwei Wochen. Die Woche dazwischen zieht die Versammlung ein paar Häuser weiter zu den Nachbarn und lässt sich an deren Esstisch nieder. Unsere Jüngsten bereiten sich auf ihre Erstkommunion vor und ich darf sie und die vier anderen Kinder unserer kleinen Gruppe dabei begleiten. Ich bin auf diesem Gebiet quasi eine alte Häsin, aber dieses Mal bin ich nicht die einzige Häsin sondern darf mir die Aufgabe teilen. Das ist großartig, weil es gemeinsam einfach mehr Spaß macht, weil es entlastend ist und ich dazulernen kann. Wenn du eine lange Wegstrecke vor dir hast (und bis Ostern ist es wahrlich noch ein weiter Weg), dann ist es ratsam nicht alleine zu gehen. Es geht sich einfach leichter und wenn du außer Puste gerätst, ist jemand an deiner Seite, der beim Tragen hilft. Tatsächlich freue ich mich sehr über diese Montagsversammlung, diese überschaubare Gemeinschaft kleiner und größerer Menschen, die mit erstaunlichem Enthusiasmus unterwegs sind und noch viel zu bereden und zu entdecken haben.
Und doch geht mir seit einigen Tagen ein uraltes Reinhard Mey-Lied immer wieder durch den Kopf. Reinhard Mey, wie alt ist der eigentlich jetzt schon? Egal, jener Liedermacher eben, von dem meine Freundin Eva sagt, seine Texte seien eigentlich völlig ausreichend, um mit ihrer Weisheit ein paar Kinder groĂźzuziehen. Ich bin geneigt ihr zuzustimmen. Wenn du mein Buch ĂĽber das Familienleben mit allen Sinnen gelesen hast, dann bist du ihm dort auch begegnet. Das Lied, das in meinem Kopf summt, ist aber ein anderes und es heiĂźt: „Bevor ich mit den Wölfen heule“. Das ist nicht ganz so wohlig gefällig, sondern sperrig und unbequem. „Ich will in keinem Haufen raufen, lass mich mit keinem Verein ein…“ Wenn du die Suchmaschine deines Vertrauens nutzt, kannst du den ganzen Text finden- er ist groĂźartig und hat rein gar nichts an Aktualität verloren, auch wenn er schon so viele Jahre alt ist. Im Gegenteil- das „Phrasen um die Ohren-schlagen“ wurde durch sämtliche social media Plattformen in eine ganz neue Dimension gehoben und manchmal fĂĽrchte ich, dass uns zwischen all dem SchwarzweiĂź-Denken die vielen Zwischentöne abhandenkommen. Er hat recht, der Herr Mey. Mit dem Rudel mitrennen und mit der Herde blöken ist zwar häufig bequem, aber eben auch hochgefährlich, ganz gleich, in welche Richtung die Herde rennt. Den eigenen Weg suchen, Schritt fĂĽr Schritt vorwärts tasten, mit Bedacht, mit Irrungen und Stolpersteinen ist deutlich mĂĽhsamer, egal ob es Fragen des Zusammenlebens, des Konsums, der Politik oder der eigenen Werte betrifft. „Worum es geht, ist mir schnuppe, mehr als zwei sind eine Gruppe. Jeder Dritte hat ein anderes Ziel…“ Hm. So singt es in meinem Kopf. Und dazwischen tönt es leise: Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind…“
Jede Familie ist ein kleiner Verein, eine Gemeinschaft, vielleicht sogar eine kleine Gemeinde. Gemeinsam die Wegstrecke gehen, Lösungen finden, halten und liebhaben. Zueinander gehören und miteinander sein. Teilen, was verbindet und teilen, was schmerzt. Was bin ich dankbar für meinen kleinen Verein und wie traurig wäre es wohl, müsste ich mutterseelenalleine durchs Leben irren. Der Mensch, geschaffen als Gemeinschaftswesen, von Anfang an, beschenkt mit der Fähigkeit zu lieben, zu geben und zu sorgen.
An frühen Samstagmorgen stehe ich am Rande von Fußballplätzen und sehe nicht nur die Begeisterung, mit der mein Junge übers Spielfeld galoppiert, nein, ich sehe ehrenamtliche Trainer, die motivieren und anfeuern und ebenso gut noch im warmen Bett liegen könnten. Ich höre meine Kinder musizieren, die Klänge eines großen Orchesters, eine Freude für die Ohren, eine Gemeinschaft für die Musik. Ich sitze in einer Kirchenbank, und spüre Heimat. Und an Montagen zündet ein kleiner Verein eine Kerze an und macht sich auf den Weg, um eine neue Dimension von Leben zu entdecken.
Ich bin gerne gemeinsam unterwegs, in Gemeinschaft liegt weniger Bedrohliches als viel mehr Segen. Allerdings! Das Selberdenken, das Hinterfragen und Beleuchten, die tausenden Abers und Vielleichts, das Hinhören und Aussprechen, bestimmt auch das Stehenbleiben, um sich neu auszurichten und gegebenenfalls die Richtung zu wechseln, all das kann dir keiner abnehmen. Das darf dir keiner abnehmen. Ganz gleich, ob Familie, Gemeinde oder Kegelverein. Das Selbstdenken ist Privileg und Verantwortung. Die Zwischentöne dürfen uns nicht abhandenkommen. Wir sind als Gemeinschaftswesen geschaffen, aber nicht als Herdentiere. Und weil das für alle Vereinsmitglieder gilt, will ich hinhören, wenn sich Neunjährige skeptisch zeigen, wenn Teenies eine Meinung haben, wenn einer mein Geblöke anzweifelt. Es könnte was dran sein.
Am Martinsabend wollte hier keiner mehr Laternelaufen. Ein bisschen schade, wie immer, wenn etwas zu Ende geht. Aber Weckmänner teilen und heißen Früchtepunsch, dabei ein Feuer im Ofen und Zeit füreinander, das wollten alle. So ein Verein ist eine feine Sache, ein Segen, ich möchte nicht ohne ihn sein.
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