Letzte Woche habe ich mich geärgert, war ich wütend, gekränkt und sauer. Vielleicht auch ein bisschen traurig, ratlos und verletzt. Wegen diverser Menschen in meiner näheren und weiteren Umgebung. Wegen mir selbst. Wegen der Verzwicktheit menschlichen Miteinanders. Am Ende dieser übellaunigen Woche war ich willig und bereit alles und jeden, vor allem aber mich selbst, in Frage zu stellen, anzuzweifeln und Auswandern auf einen einsamen Berggipfel als durchaus plausible Option ins Auge zu fassen. Ich fand, ich sei der Menschheit nicht länger zumutbar. Und umgekehrt die Menschheit mir nicht. Warum? Och, damit will ich dich gar nicht langweilen. Sicherlich kennst du solcherlei misslichen Gemengelagen selbst zur Genüge. Gibt ja so Tage, da fühlt sich alles nur noch schwierig, sperrig und irgendwie verkehrt an, deine Welt scheint bröselig und so undurchschaubar wie die physikalischen Formeln in den Schulheften deiner Kinder. Ich fürchte die Gründe, warum die eigene kleine Welt derart aus den Fugen geraten kann, sind so vielfältig wie die besagte Menschheit selbst. Und da sind wir noch nicht einmal in der Nähe von den echten Erdbeben, die das Leben zum Wanken bringen, den echten Gefühlskatastrophen und den wirklich tiefgreifenden Beziehungskrisen. Ich und mein schlechtgelauntes Selbst haderten nur mit dem absolut alltäglichen Kuddelmuddel, dem feinen Gespinst aus Gefühls- und Beziehungsfäden. Jene Fäden, die das ganze Leben durchziehen, sich ab und an heillos verwirren und verknoten, ganz so wie ein Knäuel dünner Wolle. Nichts, was man nicht mit Geduld und etwas gutem Willen, wieder auseinanderdröseln könnte. Aber durchaus genug um dir die Petersilie gründlich zu verhageln und dafür Selbstzweifel und Menschenzweifel aufs Schönste wuchern zu lassen. Der Mensch, geschaffen als Gemeinschaftswesen, hat es dann und wann nicht eben leicht mit der Gemeinschaft.
Am Ende des Endes der übellaunigen Woche waren wir auf einer Geburtstagsfeier eingeladen und auf die hatte ich mich schon sehr gefreut. Zum einen, weil ich das Menschenkind, dessen Leben gefeiert wurde, wirklich lange kenne und wirklich gern habe, was für eine Freude, dass es auf der Welt ist. Zum anderen haben diese Feiern immer eine merkwürdige und faszinierende Wirkung. Die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Eigenarten und unterschiedlichsten Geschichten sitzen in der alten Scheune beieinander. Alte und junge, große und kleine, ausgeprägte Charaktere und Gesichter, vom Leben geprägt. Es wird Musik gemacht. Im Nebenraum kocht ein Topf Suppe auf dem Herd. Alles ist schlicht und einfach und unaufgeregt. Ich kenne wenige Orte, an denen ich mich so willkommen fühle. Es ist ein Ort liebevoller Gnade. Ich kam dort an mit einem Geschenk in der Hand und all dem Weltschmerz auf der Seele, dafür nahm eine Handvoll dieser Gnade mit nach Hause. Gerade so viel, um mich auch wieder ein wenig liebevoll anzusehen. Und die Menschen in meiner näheren und weiteren Umgebung. Und all die Macken und Wunderlichkeiten, die spitzen Ecken und unbequemen Kanten. Ich konnte es gut sein lassen.
Jetzt ist Advent. Endlich. Ich habe ihn so herbeigesehnt. Nicht weil er so romantisch wäre. So entspannt, perfekt und harmonisch. Nein, schlicht und ergreifend deshalb, weil ich Stall-Sehnsucht habe. Und vielleicht kennst du diese Sehnsucht auch? Die Sehnsucht nach einem Ort, wo du einfach sein darfst? Dann machen wir in diesem Advent kleine Ausflüge in den Stall. So, wie heute. Ach ich bin fest überzeugt, dass der Stall in Betlehem ein Ort liebevoller Gnade war und bis heute für jeden Menschen sein will. Es muss so gewesen sein, denn du lieber Himmel, ein Stall! Kein Wohnzimmer im Landhausstil, kein gefliester Boden, praktisch und leicht zu reinigen, und mit Sicherheit keine hübsch dekorierten Wände. Kein fertiger, gemütlicher Ort. Zwei erschöpfte Eltern, müde und voller Fragen. Und die Menschen, die da auftauchten! Stell dir nur vor, an deinem Wochenbett wäre plötzlich eine Horde Hirten gestanden, ungewaschen und nach Schaf riechend? Sie werden wohl kaum Sonette rezitiert und einen Teller Zimtsterne herumgereicht haben, die ungehobelten Kerle, gezeichnet vom Leben und vom Überleben. In der Krippe das Kind. Der Stall ist der Ort, an dem Gott dir ins Ohr flüstert: ich komme trotzdem. Bei mir ist das Unfertige willkommen, das verknotete und verknäulte. Die schwierigen Geschichten, dein Gesicht, vom Leben geprägt, von deinen Herausforderungen, deinen Wetterlagen. Du musst nicht so tun als seist du wer anders, weil du doch schon vollkommen ausreichst, gerade so wie du jetzt bist. Komm rein und suche dir ein Plätzchen. Du, mit deinen Kanten und Ecken, deinen losen Enden, deinen Fragen, Zweifeln und den vielen kleinen Scheitern in der Tasche. Hier kannst du es gut sein lassen. Ich komme trotzdem, und gerade deshalb, warum denn sonst? Hier und heute und allezeit, in diesen Stall, in dein unfertiges Herz. Bei mir bekommst du kein rundum Verwöhnprogramm, aber liebevolle Gnade im Übermaß, geh und schenke sie weiter, es ist genug für alle da!
Je älter ich werde, desto mehr spüre ich, wie sehr ich Orte liebevoller Gnade brauche, wie sehr wir sie alle brauchen. Liebevolle Gnade kannst du nicht im Internet bestellen, nicht kaufen, erarbeiten oder erwirtschaften. Du musst dafür nichts leisten, keine Mindeststandards einhalten, keine Wettbewerbe gewinnen oder einen Plan abarbeiten. Liebevolle Gnade darfst du dir schenken lassen und du darfst sie annehmen. Im Stall deines Herzens, im Stall deines Lebens darfst du es gut sein und dich beschenken lassen. Und leise flüstert er dir zu: ich komme trotzdem.
Komm, lass uns verschwenderisch und großzügig sein, lass uns liebevolle Gnade schenken, auf dem Weg hin zu Weihnachten! Unseren Kindern, unseren Ehepartnern- und Partnerinnen, dem Grantler von der Ecke und der nervigen Tante. Denen, die wir nicht verstehen, und dem, der uns unbegreiflich ist. Denen, die uns gekränkt haben und der, deren Worte immer noch das Herz zwicken. Wir wissen ja, wo es sie im Übermaß gibt.
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Ich dank Dir liebes GeiĂźlein. Es tut gut, Deine Zeilen zu lesen. Der gruene Daumen
Was fĂĽr wohltuende, wunderbare Worte! Mir rollen gerade ein paar Tränen die Wangen runter weil ich so erleichtert bin… zu lesen, dass es anderen auch so geht und weil du so passende Worte findest und weil es diese Gnade gibt. Danke dir!