Seit dem 1. Advent übe ich mich im Social-Media-Fasten (keine Bange: das ist weder besonders fromm noch besonders heroisch, es ist einfach eine kleine, lebenserhaltene Maßnahme zur Rettung meines Verstandes und Seelenheils). Anfangs fühlte es sich noch seltsam an, als sei man irgendwie abgeschnitten von der Welt, aber schon bald merkte ich, wieviel mehr Ruhe und Gelassenheit in meine stets etwas aufgeregt umher flatternden Gedanken einkehrte. Plötzlich vergesse ich das Handy irgendwo im Regal, checke nicht unablässig irgendwelche Nachrichten und verfüge plötzlich über die Zeit, von der ich sonst immer jammernd behaupte, dass sie mir an allen Ecken und Enden fehle.
In einem Moment dieser freigewordenen Zeit las ich neulich in der aktuellen Ausgabe des „Anders leben“-Magazin ein Interview mit dem Mann, den alle Welt nur als „Willi will`s wissen“ kennt. Ein ausgesprochen spannender Mensch. Hängen blieb ich bei den Zeilen, in denen er auf die Frage seiner kleinen Tochter, wie lange Maria und Josef denn wohl unterwegs gewesen seien, damals, auf dem Weg von Nazareth nach Betlehem, keine Antwort wusste. Als anerkannter Experte zur Beantwortung ungelöster Kinderfragen machte er sich auf den Weg. Und lief die ganze Strecke nebst Esel und diversen Schwierigkeiten. Zwölf Tage war er unterwegs. Zwölf! Der ganze lange Weg und ausgerechnet das letzte StĂĽck fĂĽhrte durch die WĂĽste. Ich schätze mal, dass er nicht schwanger war, dass er ausreichend Nahrung und Wasser zur VerfĂĽgung hatte und dass in Betlehem eine hĂĽbsche, bequeme Unterkunft auf ihn wartete. Trotzdem eine irre Strapaze. Denk nur, die beiden Menschen damals, die ganze lange Strecke und nicht wissend, wohin sie sie schlussendlich fĂĽhren wĂĽrde!
Vielleicht waren sie am Ende so müde und erschöpft, dass ihnen der Stall wirklich als idealer Ort erschien. Ein Ort um anzukommen und auszuruhen. Ein geschütztes Plätzchen, wenn auch kein sehr vertrauenerweckendes. Und doch wurde ausgerechnet dieses Plätzchen zum Zufluchtsort für so viele Menschen. Und ist es bis heute geblieben. Ein Sinnbild fürs Ankommen, für das Loslassen aller menschlichen Mühe, wenigstens für den Augenblick, ein Ort zum Ausruhen und Kraftschöpfen und sich im Moment verlieren. Bestimmt kennst du diese besondere Atmosphäre, wenn du einen Raum betrittst, in dem sich ein Neugeborenes befindet. Bis heute hält die Welt den Atem an, für eine kleine Weile ist alles andere unwichtig. Es ist das, was ich meine, wenn ich sage: da ist ein Stückchen Himmel auf die Erde geplumpst. Und Maria und Josef, die den Himmel selbst in ihren Armen hielten, öffneten die Türen zu ihrem unwirtlichen Zufluchtsort und ließen ihn so zum Zufluchtsort für Hirten und Könige, ja für die ganze Menschheit werden.
Gestern Morgen saĂź ich im Gottesdienst und beobachtete eine alte, gebrechliche Frau auf dem Weg zur Kommunion. Ihre Hände krallten sich fest um die Griffe ihres Rollators, ein Begleiter stĂĽtze sie. Ganz in schwarz war sie gekleidet, offenbar war sie die Witwe des Mannes, dessen in dieser Messe besonders gedacht wurde. Oben auf der Empore wurde gesungen. Mit wunderschöner, ergreifender Altstimme: „Maria durch ein Dornwald ging“ Und die alte Dame straffte ihren Körper, machte sich auf den langen Weg den endlosen Gang hinunter zu ihrem Platz, und sang aus voller Kehle und mit aller Inbrunst mit. Selten hat mich etwas so tief gerĂĽhrt. Dieses uralte Lied, das sie sicherlich schon als kleines Mädchen gesungen hatte, es wurde zu ihrem Stall. Ein Kraftort, eine Zuflucht, eine Zusage, ein StĂĽck Himmel zur Stärkung.
Der Himmel weiß, wie viele Wege du durch dein Leben gehst. Die kleinen kurzen Etappen, die Langstrecke, die Hürden, die Berge und die Täler. Sei es das Stückchen Strecke bis hin zum nächsten Weihnachtsfest, sei es die lange Distanz mit den alltäglichen Herausforderungen, den tiefen Schluchten von Kummer und Verlust, den bockigen Eseln, die dich begleiten, der grandiose Aussicht, gleich hinter der nächsten Kurve. Es gibt so viel Schönes und Überwältigendes zu entdecken, so viel Schweres und Mühseliges zu bewältigen. Der Himmel weiß es. Und immer und immer wieder schenkt er dir einen Stall. Einen Stall, der nicht nur an Weihnachten geöffnet hat, sondern immer. Auf allen Wegen findest du Schutzräume, Haltestellen, Ruheorte. Reingehen musst du selbst.
Auf dieser Strecke des Weges lege ich das Handy aus der Hand und mit ihm all den Ballast, der sich aufbläht und wichtig macht und laut in meine Ohren dröhnt. Ich stelle Kirschzweige in den Krug, lese die alten Weihnachtserzählungen vor, schleiche nachts wieder durch Kinderzimmer und fĂĽlle die ausgebeulten Streichholzschächtelchen mit Winzigkeiten und kleinen Zetteln. Ă–ffne am Kalender, der mir völlig unverhofft zu Teil wurde, eine kleine Christbaumkugel. „Du bist lustig“, steht da, oder „ich finde dich schön!“ und auch ein „Ich liebe dich“ durfte ich schon entdecken. Unsere alten Familienrituale, nicht die Bohne originell oder nur ansatzweise stylish, sie werden zu meinem Stall. Liebevolle Worte, unerwartet geschenkt, zum Zufluchtsort. Kleine Pausen und alte Gedichte zum schĂĽtzenden Raum.
Mögest du gut in dieser Woche leben können, mögest du behütet sein, auf dieser Strecke deines Weges und mögest du immer den Stall entdecken, dessen Tür für dich offen steht. Geh rein, ruh dich aus, tank ein bisschen Liebe und Kraft und Wärme.
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Haaaaach. Danke!!!!
Danke. Danke. Und wow – 12 Tage unterwegs, hochschwanger…Gott zur Welt gebracht. Deine Worte tun das auch immer wieder fĂĽr mich. Hab einen gesegnete Adventszeit! Ohne soziale Medien dafĂĽr mit ganz viel sozialem Leben:-)
Vielen Dank fĂĽr diese Worte und Weisheiten!??