Küchenlatein

Die schönste Küche, die ich kenne, befindet sich im Elternhaus meiner Freundin Eva. Als junge Studentin mit Prüfungssorgen durfte ich dort zum ersten Mal zu Gast sein und bumms hatte ich mein Herz verloren. Also ich sag es mal so- wenn du ein Faible für stylishes Möbeldesign und fancy Innenarchitektur hast, dann würdest du über meine Vorstellung von „Schönster Küche“ vielleicht ratlos den Kopf schütteln. Aber diese Küche hat einen ganz eigenen Zauber und ich erlag ihm vor, lieber Himmel, ich fürchte vor Jahrzehnten. Es ist eine Küche aus Kirschbaumholz, wenn ich mich recht erinnere, und man kannte den Kirschbaum irgendwie persönlich. Die Küche war gerade richtig abgeschrammt, war offensichtlich viel benutzter Lebensraum der großen, bunten Familie, warm, gemütlich und einladend. Vielleicht war es aber auch die Mutter der Freundin, die warmherzig, unkompliziert und einladend war oder die Kombination aus beidem, die ich in einer sehr verlorenen Lebensphase als tröstenden Ort empfand. Seither träumte ich auf jeden Fall davon, einmal selbst genau so eine Küche haben zu wollen, ein Synonym für Zuhause, Heimat und Geborgenheit.

Als der Gatte und ich plötzlich Hausbesitzer und Eltern zweier Kinder waren, als wir dieses Haus bewohnbar machen und einrichten sollten (das war eine völlig wahnsinnige Zeit, das darfst du mir ruhig glauben), brauchten wir natürlich auch eine Küche. Wir besuchten ein Naturmöbelhaus, das uns sehr gefiel und entdeckten das gute Stück, das unsere Küche werden sollte. Dann entdeckten wir die niedlichen kleinen Preisschilder und offensichtlich sollte dies nicht unsere Küche werden. Wir kannten leider auch keinen Kirschbaum persönlich und so blieb nur der schwedische Weg. Der Gatte und ich haben einiges gemeinsam, aber vieles auch nicht. Er mag es graphisch und ich floral. Mich kannst du mit Landhauslook kriegen, ihn jagen. Er mag es funky, ich bekomme davon Tinnitus. Trotzdem finden wir immer etwas, was wir beide mögen. Unsere erste Küche war schwedisch und tat so, als sei sie aus Wildbuche, immerhin, oder wie meine Tochter gerne zitiert: „fake it till you make it“ Der Gatte meinte zuversichtlich: „Wenn sie fünf Jahre hält, haben wir alles richtig gemacht!“ Äh, ja. Nun, fünfzehn Jahre später war das gute Stück mehr als arbeits- und lebensmüde, es wollte dringend zurück in die schwedischen Funierwälder, warf beständig mit irgendwelchen Scharnieren und Rotorblättern nach mir. Wir zwangen sie zum Durchhalten bis gar nichts mehr ging. Der Traum von der Echtholzküche hatte all die Jahre weitergeglommen und flackerte nun wieder auf.

Mit Küchen ist es eine eigenartige Sache, nicht? Sie sind meist die Seele eines Hauses, der Ort, an dem weit mehr als nur Essen verarbeitet wird, zumindest wenn es ein Haus voller Leben ist. Den Herzschlag spürst du zwischen Pfannen und Müsligläsern, zwischen Kaffeemaschine und Brotkasten. Die wirklich wichtigen Gespräche und Gedanken scheinen wie Hefeteig am besten in einer Küche zu gedeihen. Und so drängeln sich Herzensanliegen, Grundsätzliches und Lustiges, ja ganze Festgesellschaften lieber in Küchen und an Esstischen als in offiziösen Wohnlandschaften. Irgendwo habe ich gelesen, dass in Großbritannien nicht selten keine Küchen mehr eingebaut würden, weil niemand mehr Zeit und Möglichkeit zum Kochen habe und sich das Take- away-Essen bequemer vor dem Fernseher essen ließe. Ich hoffe, dass das nur ein fieses Gerücht ist. Wäre es wahr, dann wäre es eine gruselige Entmenschlichung des Wohnraumes, des Alltags, ja des ganzen Lebens. Ich träumte immer von einer Echtholzküche, aber wir dürfen ehrlich sein: es ist völlig wurscht, aus welchem Material eine Küche gebaut ist. Seele und Mittelpunkt eines Zuhauses, warmherzig, unkompliziert und einladend, ein Ort der Bäuche und Seelen füllt und satt werden lässt, wird eine Küche völlig unabhängig von ihrem Grundmaterial. In einer winzigen Studentenküche können dreißig Menschen ohne Mühe fröhlich sein und die Welt neu denken. Aber es sollte ein Ort zum Wohlfühlen sein, in dem man gerne ist und gerne isst. Es sollte ein Ort mit und von und für Menschen sein, für sie und ihre grundlegenden Bedürfnisse von Nahrung für Leib und Seele.

Ich habe viel Zeit in meiner Schwedenküche verbracht, unzählige Mahlzeiten zubereitet, ungezählte Tassen Kaffee und Kannen von Tee, Babybreie und Festtagsbuffets. Wie viele Brote wurden in den Ofen geschoben und Pizzen und Weihnachtskekse? Viel wichtiger jedoch: wie viele Worte wurden gewechselt, wie viele Tränen getrocknet, wie viele Lacher gegluckst? Wie viele Scherben aufgesammelt und der letzte Rest Torte spätabends im Stehen geteilt? Jeder Mensch sollte so einen Ort haben dürfen, voller Wärme und Geborgenheit und dem Geruch von Daheim, ja ich finde ganz unbedingt, dass es ein Menschenrecht sein sollte. Ich glaube wirklich, dass du Gott am ehesten in einer Küche finden kannst, an einer Feuerstelle und auf jeden Fall gleich neben dem Teekessel.

Fünfzehn Jahre nach unserem ersten Besuch standen der Gatte und ich in einem Naturmöbelhaus. „Das da soll unsere Küche werden!“, erklärten wir dem Verkäufer. „Seit fünfzehn Jahren schon!“ Jetzt ist sie da. Ein netter Schreiner hat sie über Tage eingebaut und sie ist immer noch nicht ganz fertig. Anfangs habe ich ein wenig mit ihr gefremdelt, wie mit allem, was neu ist, aber mit jeder Tasse Kaffee und jedem gebackenen Kuchen kommen wir einander näher. Sie ist für mich die zweitschönste Küche, die ich kenne. Wenn du ein Faible für stylishes Möbeldesign und fancy Innenarchitektur hast, dann wirst du vielleicht ratlos den Kopf schütteln. Aber für uns ist sie gerade richtig und das lange Warten hat sich gelohnt. Ich hoffe, dass sie für alle, die mir am Herzen liegen ein Synonym für Zuhause und Geborgenheit wird, wo man eine Tasse Tee bekommt, ein Stück Kuchen oder ein Käsebrot, wenn man es braucht. Auf jeden Fall ein warmes Willkommen und einen Handfeger für die Scherben, die das Leben so mit sich bringt.

Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, dann kannst du ihn, meine Arbeit und diese Seite gerne mit einer kleinen Spende wertschätzen und unterstützen, das geht ganz einfach über den Pay Pal Button! Ich danke dir von Herzen und freue mich wirklich sehr über jede Unterstützung

1 Kommentar zu „Küchenlatein“

  1. Ach liebe Sandra, ich lese mich mal wieder kopfnickend und mit warm werdendem Herzen durch deinen Beitrag. Eine Küche ist wirklich ein wunderbarer Ort (Küche ist gut für die Psyche – sagt eine Freundin immer:-)). und der bearbeitete Kirschbaum sieht fantastisch aus! Wir haben auch seit letztem Jahr eine neue Küche – allerdings vom Schweden und im Landhausstil ;-). Ich freue mich jeden Tag dran…
    „Ich glaube wirklich, dass du Gott am ehesten in einer Küche finden kannst, an einer Feuerstelle und auf jeden Fall gleich neben dem Teekessel.“
    Wunderschön! Und den Handfeger für die Scherben nimmt er auch gern in die Hand. Schick Dir liebste Grüße und wünsche DIr ganz viel Freude mit und in der neuen Küche!!!

Kommentar verfassen

%d Bloggern gefällt das: