Mosaik

Riechst du es auch? Es liegt Veränderung in der Luft in diesen frühen Morgenstunden später Augusttage. Eine Ahnung von Herbst, ein Anklingen von Spätjahr, ein erstes Sehnen nach Suppe und Strickjacke. Das letzte Mal als Veränderung in der Luft lag, war April und es roch nach Frühling, nach wärmeren Tagen und grüner Sauce. Der April hielt was er angekündigt hatte und brachte gleich ein ganzes Bündel an Veränderungen für uns mit. Nicht alle waren wahnsinnig willkommen. Veränderung kann Verheißung bedeuten, Neuanfang und Aufbruch. Manchmal aber auch Loslassen von Vertrautem, von alten Sicherheiten, von stabilen Gefügen. Oder alles zusammen. So oder so bringt sie in der Regel erstmal alles ins Wanken, so oder so ist es beängstigend, mal mehr, mal weniger. Es dauert ein Weilchen bis sich der Boden unter den Füßen wieder sicher und vertraut anfühlt. Veränderungen sind eine Gesetzmäßigkeit des Lebens, sie gilt für Jahreszeiten und Entwicklungsschübe, Lebensabschnitte und Lebenseinschnitte, besser also man wehrt sich nicht. Es würde nur beschwerlicher machen, was eh nicht aufzuhalten ist.

Besser also, du hast drei bis fĂĽnf Strategien an der Hand, wie du solche Zeiten der Veränderung durchhalten kannst, ohne komplett dein Gleichgewicht oder den Verstand zu verlieren. Ein paar Halteseile fĂĽr Herz und Hirn. Frische Luft. Lesen. Rennen. Backen. Den Garten Eden neu anlegen. Nähen. Du weiĂźt, was ich meine. Erstaunlicherweise sind es oft sehr handfeste Tätigkeiten, die einem helfen, die Gelassenheit wiederzufinden. Ich persönlich halte mich ja gerne an ein paar Stricknadeln und einigen Knäulchen Wolle fest. Im April suchte ich ein kleines Projekt zum Festhalten, eine unaufgeregte selbst-therapeutische MaĂźnahme. Etwas mit Erfolgsaussichten, ohne Gefahr meine eh schon ĂĽberreizten Hirnwindungen endgĂĽltig eskalieren zu lassen. Froh sollte es mich machen und etwas gelassener. Das kleine Projekt fand mich und an dieser Stelle muss ich einfach mal ein sehr lautes und aus tiefem Herzen kommendes „Danke!“ in die Runde rufen. Solch kleine, therapeutischen Halteseile können ja erstaunlich teuer sein und meines ist tatsächlich spendenfinanziert. Eure Spenden, eure Wertschätzung meiner Arbeit hier, hat es mir möglich gemacht! Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das freut und wie dankbar ich dafĂĽr bin.

Ich entschied mich fĂĽr das Stricken einer Decke, Quadrat an Quadrat, in warmen Farben, ein Mosaik aus bunten Vierecken. Einige strickte ich beim traurig sein, manche bei Diktat diktieren, beim Warten auf Gitarre spielende Kinder und an hellen Juniabenden im Garten. Andere entstanden im endlosen Stau auf der Pariser Stadtautobahn, unter den rauschenden Bäumen unseres Pfarrhausgarten in der Normandie, auf warmen Steinen eines Bergdorfes im Piemont. Ich strickte welche beim Zelebrieren der letzten „Doc Martin“-Staffel mit meinem Jungen, der plötzlich auch Teenager ist, an Filmabenden inmitten dieser Bande, die ich so sehr liebe, beim Reden mit dem Himmel, beim Pläneschmieden und Welt neu sortieren. Jetzt liegt wieder einmal Veränderung in der Luft. Jetzt ist die Decke fertig. Ich finde sie wunderbar, geradezu herzklopfend frohstimmend.

Es ist ganz so, als hätten die letzten Monate greifbar Gestalt angenommen, all die wunderbaren und all die traurigen Momente, die hellen Tage und die dunklen. Das schlichte Beige und helle Grau von Alltagstagen, die Ruhe und Erdung in dieses kunterbunte Leben bringen, ach ihr Wert ist unermesslich. Die bunten Farben von Reisen und von anderen Ländern, von fröhlichem Zusammensein und angestrengtem Zusammenraufen. Helle Sommertöne, hell wie das Lachen schwimmender Kinder im See, Eis-Essen und der Himmel über den Alpen. Gedecktere Töne, das dunkles Grau und tiefe Violett von Wehmut, Ratlosigkeit und Abschied. Alle zusammen ergeben sie ein Mosaik des Lebens, jede Farbe hat ihren Platz, jede Farbe wird gebraucht. Ich sehe meine Decke und sehe an ihr, wie die Tage, Wochen und Monate sich aneinanderfügen, nicht einfach nur vergehen und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Jeder Tag zählt, ganz gleich ob hell oder dunkel, ob tiefwarmes Rot oder kühles Türkis. Jede, Begegnung, jedes gute Wort, jedes Gebet, jedes Lachen und jede Träne. Es liegt Veränderung in der Luft, immer und immer wieder, aber das, was du zurücklässt, bleibt dennoch bestehen, webt sich ein in die Decke deines Lebens, fügt sich zusammen mit all den anderen Abschnitten und Farben und Mustern. Wir können nur ahnen, was da für ein Gesamtkunstwerk entsteht, weil wir doch oft genug nur den einen kleinen Ausschnitt vor Augen haben, der gerade am Werden ist.

Gestern Abend konnte ich zum ersten Mal meinen Sessel mit samt der neuen Mosaik-Decke beziehen und das hat mich ausgesprochen froh gestimmt. Gerade jetzt, wo wieder Veränderung in der Luft liegt und ich jetzt schon ahne- die nächsten Monate werden wild. Der Sommer neigt sich dem Ende zu und damit auch die Ferien. Nächste Woche kehren nicht nur die Kinder in ihren Schulalltag zurĂĽck, sondern ich auch. Noch habe ich tatsächlich herzlich wenig Ahnung, wie sich dieser unser Alltag gestalten wird. Werde ich alles schaffen? Werde ich die Schule mögen? Wird die Schule mich mögen? Wie sehr werden uns die verändernden Lebensphasen, in der wir offenbar alle gerade stecken, durcheinanderwirbeln? Wird mir genug Zeit bleiben fĂĽr das, was mir am Herzen liegt? Wird alles gut gehen und wird es allen gut gehen? Ich werde mir wohl sicherheitshalber ein kleines Projekt suchen. Ein wenig Wolle und ein paar Nadeln, daran kann ich mich gut festhalten. An die frische Luft gehen. Lesen (ich bin ganz vernarrt in die „Three pines“-Reihe und die hat dem Himmel sei Dank viele Bände). Rennen liegt mir persönlich leider nicht so. Aber Beten. Beten kannst du immer. Der Himmel lässt dich niemals hängen, wenn der Boden unter den FĂĽĂźen schwankt.

Der Sommer ist langsam vorüber, wie schön, dass wir uns hier wiedersehen. Ehrlich gesagt kann ich dir gerade nicht sagen, wie oft und in welchen Abständen das zukünftig sein wird. Aber das Blogeckchen ist für mich eben auch ein wichtiges Halteseil und ich erzähle doch einfach zu gerne von dem, was mich umtreibt, also keine Bange- wir lesen uns. Nach dem Sommer kommt übrigens der Spätsommer und das ist ja wohl eine ausgesprochen großartige Aussicht. Bleib behütet, bis zum nächsten Mal!

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3 Kommentare zu „Mosaik“

  1. Vielen Dank für diese wunderbaren Worte. Ich freue mich seit langer Zeit so über jeden Beitrag hier. Habt einen guten Start ins neue Schuljahr! Wie schön dass du unterrichten wirst, sicher eine Bereicherung für die Schüler:innen.
    Liebe GrĂĽĂźe von Katharina

  2. Ich fĂĽhle Deine Worte!
    Mir geht es tatsächlich ähnlich… Wolle und Häkelnadeln tun gut im trubeligen Alltag und in den trubeligen Ferien.
    Auch auf mich wartet nach einigen Jahren daheim eine neue Schule. Und ich freue mich darauf – aber es sind auch viele Fragezeichen da, was das mit unserem Familienalltag machen wird…
    Gott mit dir – und euch! Bin gespannt, was du berichten wirst. Ich freue mich jetzt schon auf deinen nächsten Beitrag!

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